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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
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im Unterschied zu den anderen Leuten auf dem Bahnhof sahen sie mich sehr wohl.
    »Wat bist ’n du für ’n komischer Vogel?« hörte ich von dort. Ohne Zweifel, ich war gemeint.
    »Ich bin Vertriebsleiter«, gab ich deshalb bekannt.
    »Ooch nich schlecht. – Willste ’n Schluck?«
    »Vertriebsleiter Ost«, fügte ich leise, weil mir das plötzlich wichtig erschien, hinzu.
    Das stieß auf Zustimmung. Fröhliches Lachen antwortete mir. »Wat willste denn vertreiben?« – »Na, hoffentlich nich uns«, zischte ein zahnloser Mann dem vorlauten Frager zu und stieß ihn dabei feixend mit der Schulter an. Er hustete. Es hörte sich an wie ein Motor, der nicht anspringen will.
    Ich lächelte triftig, schüttelte aber beschwichtigend den Kopf.
    »Na los, nu gib ihm’chen doch mal ’n Schluck!«
    Einer aus der Gruppe wickelte eine Flasche aus. Ich erhob mich und ging zu den Männern hinüber. Das Bahnhofsgeschehen konnte ich schließlich auch von dort aus im Auge behalten. Freitag folgte mir auf dem Fuß. Man empfing uns gutgelaunt. Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, hievte meinen Rucksack von der Schulter und nahm Platz bei den Männern.
    »Du machst wohl gerade ’ne Traumreise?« sprach der Zahnlose, er tippte ehrfürchtig mit seinem schwarzen Zeigefinger meinen Rucksack an.
    »Das weniger.«
    Aber da fiel mir ein, daß ich mich für die freundliche Aufnahme bedanken könnte. Ich öffnete meinenRucksack und sprach: »Hört! Ich will mein Brot mit euch teilen.« Sie aber sprachen zu mir: »Mann, warum sagste’n det nich gleich!« Und so geschah es. Ich hatte meine Freude daran, zu sehen, wie es ihnen, obwohl sie ihre Hände nicht gewaschen hatten, schmeckte. Brot und Schnaps, Salami und abgepackte Käsescheibletten. Und war es auch nicht viel, so war es doch gut. In ihren Gesichtern stand Zufriedenheit ob der Gaben.
    Nachdem ich sie also gespeist und gesättigt hatte und wir davon erwärmt waren, zündeten wir uns Zigaretten an. Sie waren nun begierig, zu erfahren, woher ich denn käme und wohin die Reise mit mir gehe?
    Ich zuckte die Schultern und sprach von dienstlichen Gründen, welche mich hier am Bahnhofe festhielten. Sonst säße ich sicher zu Hause … Sie lauschten meinen Worten mit ungläubigem Staunen.
    »Und zu Hause – da haste wohl ’ne richtige Wohnung, wa?« – Das war jetzt wieder der Vorlaute! – »Mit Fernseher und Kühlschrank und allet, und schön warm …«
    Ich nickte gedankenvoll. (Für einen Moment war ich mir nämlich nicht mehr ganz sicher, ob ich im Hobbyraum auch das Licht ausgeschaltet hatte.)
    Sie lachten wie über einen Witz. Sie konnten gar nicht mehr aufhören. Auch ich lachte, zur Gesellschaft, ein bißchen mit – bis einer, der noch nichts gesagt hatte, offenbar aber der Wortführer war, das Wort nahm, worauf die anderen sofort verstummten: »Na klar, als Vertriebsleiter, warum denn nich ’ne eigene Wohnung? Und nu isset eben mal ’n Herzensbedürfnis von dir jewesen, Weihnachten mit uns zu feiern, weg von Mutti’n, na klar. Is ja auch janz schön bei uns, oder? – Mal ehrlich, wat suchst’n hier?«
    Das letzte klang beinahe drohend.
    »Ich suche eine Frau«, gab ich unumwunden zu, wozuVersteckspielen. (Julias Namen nannte ich allerdings nicht.)
    Die Runde summte einverständig. So etwas hatte man sich wohl gedacht. Ich mußte vorsichtiger sein.
    Nach einer Weile sagte der Wortführer: »Aber so isset nich. Wir haben hier ooch allet mögliche, sogar ’n Professor. Komm, Herbert, zeig mal.«
    Der als »Herbert« bezeichnete kramte aus seiner Kutte eine Brille hervor, setzte sie sich auf die Nase und sah mich ernst an.
    »Nich schlecht, wa?« fragte der Wortführer.
    Ich nickte – und bei dieser Gelegenheit stellte ich endlich auch Freitag namentlich vor. »Aber Vorsicht«, warnte ich, »der ist scharf wie Peperoni!« Leutselig blickte Freitag in die Runde, das hier schien ihm Abwechslung zu versprechen. »Wow«, sagte er.
    Nun wollte natürlich auch ich wissen, mit wem wir es denn zu tun hätten. Doch die Antwort blieb unbestimmt: »Nischt Besonderet. Im Grunde sind wir ooch so wat wie du«, zischte der Zahnlose.
    Damit mußte ich mich zufriedengeben.
    Später stieß dann noch Mario zu uns, Mario aus Osnabrück. Ich wurde ihm als »Der Vertriebsleiter« vorgestellt. Das beruhigte mich. Man nahm also ernst, was ich sagte. Am Anfang hatte ich für einen Moment daran gezweifelt.
    Marios Kommen war Anlaß für eine neuerliche Schnapsrunde. Ich mußte aufpassen.
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