Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen
Autoren: Jens Sparschuh
Vom Netzwerk:
einem Protokollbuch festzuhalten. Anhand dieser Eintragungen hatte ich dann, wieder im Büro (einem kleinen Verschlag im Keller des KWV – Hauptgebäudes), auf meiner schwarzen Olympia-Reiseschreibmaschine die ausführlichen Schadensprotokolle zu erstellen. Diese gingen dann, in einem Original und zwei Durchschlägen, an die entsprechenden Abteilungen. Ein Durchschlag verblieb bei mir, für die Ablage.
    Das war es dann.
    Es half den Leuten ja schon, daß sich einer hinsetzte und ihnen zuhörte. Mehr hätte ich auch kaum tun können! Unsere marodierenden Handwerkertrupps zu bekommen, sie überhaupt aufzuspüren, grenzte ans Unmögliche. Ganze Bauwagen, samt ihren Besatzungen, galten tagelang als verschollen. Von wochenlangen undurchsichtigen Skatturnieren war die Rede, auch von mehrtägigen Schwarzarbeitseinsätzen außerhalb der Stadt.
    Und bei mir klingelte das Telefon: Wann kommen Sie endlich? Sie haben doch selbst gesehen …
    Worte halfen da nicht. Ich wußte auch nichts zu sagen und begann, mich in Schweigen zu hüllen. Ich verschanzte mich immer mehr in meinem Büro, war verzweifelt und nahe daran, mein Leben, zumindest mein Berufsleben, dem Alkohol zu widmen.
    Einmal bestellte mich der Chef zu sich.
    Er bemängelte, daß ich dazu übergegangen war, grundsätzlich alle Schadensprotokolle mit Dringlichkeitsvermerk zu versehen. Das würde die Arbeit der Reparaturbrigaden nur erschweren. Ich sagte: Das ist das einzige, was ich für die Leute tun kann.
    Das verstand er.
    Wir einigten uns, daß ich im Publikumsverkehr den Leuten weiterhin Dringlichkeit bestätigen konnte. Für den internen Verkehr gab es außerdem noch die Steigerung »Sehr dringlich!« und als höchste Steigerungsform, deren Bestätigung allerdings dem Chef selbst vorbehalten blieb, »im nächsten Jahr«.
    Als dann der Laden zusammenbrach, war ich erleichtert. Ich empfand das als gerechte Strafe. Ich lebte auf, es war eine glückliche Zeit. Meinem neuen Chef von der nachgerückten Wohnungsbaugesellschaft m.   b.   H. half ich, die alten Bestände zu ordnen, die dringendsten Fälle hervorzugraben. Ich machte fast jeden Tag Überstunden und nahm auch nicht meinen Jahresurlaub. So kam es dann auch, daß mir, als meine Stelle gestrichen wurde,noch fast zwei Monate Urlaub verblieben, ehe ich meine Arbeitslosigkeit antrat.
    22. Dezember.
    Da ich mich am Vortag derart über den Akten verzettelt hatte, stand als erstes Hundeschule auf dem Programm. Die Übungen mit Freitag verliefen vielversprechend. Zumindest schien der Hund jetzt begriffen zu haben, worauf es ankam: daß nämlich vor der Einnahme des Mittagessens einiges zu leisten war.
    Fortschritte gab es bei einfachen Befehlen. Bereitwillig folgte Freitag zum Beispiel meiner Aufforderung »Lieg!«, wobei allerdings zu bemängeln war, daß er sich im Laufe des Vormittags zu wiederholten Malen selbständig und ohne ausdrücklichen Befehl in die Liegeposition begab. (Er schien Gefallen daran gefunden zu haben.) Hier war noch Arbeit zu leisten!
    Unterdessen machte ich mich an die Feinstruktur der Aufräumungsarbeiten. Schon seit längerem war mir das Bücherbord in der Schrankwand störend ins Auge gefallen: ein buntes Durcheinander. Zuerst wanderte meine kleine Ratgeberreihe für Heimwerker in den Hobbyraum, dort gehörte sie schließlich auch hin. Unschlüssig war ich nun, wie mit dem Rest verfahren werden sollte. Im wesentlichen handelte es sich da um eine umfangreiche Sammlung von Science-fiction-Romanen (mein Spezialgebiet) und um eine zwölfbändige Ausgabe der Klassiker des Marxismus   /   Leninismus – eine Anschaffung noch aus der Fernstudienzeit. Hier nun bewährten sich meine Bücherstützen hervorragend! Sie führten klare Trennlinien ein; durch die Aussortierung der Heimwerkerliteratur waren nämlich die Bereiche SF und ML vollkommen ineinandergerutscht.
    Einen Augenblick lang hatte ich auch die Auslagerung des Marxismus   /   Leninismus in den Hobbyraum erwogen, aber 1. kam das überhaupt nicht in Frage, und 2. war dort kein Platz mehr.
    Zu 1. muß ich noch bemerken, daß die zwölf Bände keineswegs nur in staubfängerischer Absicht im Schrankfach standen. In der ersten Zeit als ich ohne Arbeit war, aber auch später, bei meinen ersten Schritten ins wechselvolle Vertreterleben, kam ich immer wieder auf diese Fragen zurück. (Die Beschäftigung damit hatte wohl sogar schon früher begonnen, damals, als ich – zur Tatenlosigkeit verdammt – in meiner KWV – Zelle saß.)
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher