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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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frechen Spatz gelang es mit seinem schrillen Rufen und aufgeregtem Flattern, eine dicke Taube von der Tränke zu vertreiben. Jule lächelte.
    »Das solltest du öfter tun. Steht dir nämlich sehr gut.«
    Smolski setzte sich neben sie auf die Bank und zündete sich eine Zigarette an. Dank seines Kopfverbands und seines Spitzbärtchens hatte er etwas von einem Wesir. Er holte ein halbes Brötchen aus der Tasche seines Morgenmantels, zerbröselte es zwischen seinen Fingern und warf die Krümel in Richtung der Vogeltränke. Der Spatz stürzte sich darauf und pickte das Futter beherzt auf, als stünde der Winter direkt vor der Tür.
    »Ist deine Freundin schon entlassen worden?«, fragte Smolski. Er zeigte auf die Stelle neben der Bank, wo ihnen Caro in ihrem Rollstuhl in den vergangenen Tagen mehrfach Gesellschaft geleistet hatte.
    »Nein«, antwortete Jule. »Sie hat sich nach Eppendorf verlegen lassen. Das macht den Anfahrtsweg für Seger kürzer.« Lothar hatte sich rührend um Caro gekümmert. Sie hatte Glück im Unglück gehabt – Rolf hatte ihr die Füße nicht völlig verstümmelt. Er hatte sich damit zufrieden gegeben, ihr nur die kleinen Zehen und das erste Glied der beiden Zehen daneben zu amputieren. Danach hatten Caros Füße in die weißen Lackschuhe hineingepasst, die er in seinem Wahn als passend für das Brautkleid erachtet hatte. »Sie denken darüber nach, auszuwandern. Nach La Gomera oder so. Irgendwohin, wo es warm ist.«
    Smolski schenkte ihr einen langen, nachdenklichen Blick, als hätte sie etwas zu ihm gesagt, das für ihn eine ganz besondere Bedeutung hatte. Dann lächelte er schließlich und fragte: »Und du?«
    Jule zuckte die Schultern.
    »Das ältere Pärchen gestern, mit dem du in der Cafeteria warst … waren das deine Eltern?«
    »Ja.« Jemand von der Klinik hatte sie gleich nach Jules Einlieferung verständigt, weil sie einen alten Organspenderpass im Geldbeutel hatte. Auf ihm waren ihre Eltern noch als die Personen eingetragen, die in einem Notfall zu kontaktieren waren. Sie hatten Jule inzwischen dreimal besucht. Sie musste zugeben, dass es sich gut anfühlte, Menschen zu haben, denen etwas an ihrem Wohlergehen lag. Auf die ständigen Fragen, ob sie noch Schmerzen habe und ob sie etwas brauche, was die beiden beim nächsten Mal mitbringen sollten, hätte sie allerdings verzichten können.
    »Sie sahen nett aus«, meinte Smolski.
    »Das täuscht«, erwiderte Jule.
    »Du hättest mich ruhig vorstellen können.« Smolski grinste. »Ich hinterlasse normalerweise einen famosen Ersteindruck bei potenziellen Schwiegereltern.«
    Sie musste lachen, und sie lachte noch immer, als Hoogens auf einem der Gartenwege auf sie zukam.
    »So hab ich mir das gedacht«, sagte Smolskis Partner und schüttelte den Kopf. »Da erzähl ich den Kollegen, der Pole ist dem Tod gerade noch mal von der Schippe gesprungen und sie sollen sich besser darauf einstellen, dass er nie wieder ganz der Alte sein wird, und dann sitzt er da, lässt sich die Sonne auf den Wanst scheinen und schnackt hübsche Patientinnen an.«
    Smolski deutete auf seinen Verband. »Wir Polen haben dicke Schädel. Und was die hübschen Patientinnen angeht, ist das doch nur der Neid der Besitzlosen.«
    »Na, wenn du das sagst …« Hoogens zwinkerte Jule zu.
    »Was führt dich her? Ein Krankenbesuch ist es nicht«, merkte Smolski an. »Ich sehe weder einen Blumenstrauß noch eine Packung Pralinen.«
    Hoogens’ Miene wurde ernst. »Du wolltest auf dem neuesten Stand gehalten werden. Es ist Kirsten Küver.«
    Jule senkte den Blick und schaute dem Spatz beim Fressen zu. Sie wusste, wovon Hoogens redete. In einem entlegenen Winkel von Rolfs Grundstück, der nur über einen fast völlig überwucherten Feldweg zu erreichen war, hatten die Leichenspürhunde in einem Gehölz erneut angeschlagen. Die Nachricht löste keine übermäßige Erschütterung mehr in Jule aus. Rolf hatte ihr klar zu verstehen gegeben, dass Kirsten tot war. Und der letzte Zweifel, ob man den Worten eines Mannes Glauben schenken konnte, der so sehr in seiner eigenen Welt aus Zwängen und Gewalt lebte, war in ihr sehr leise ausgefallen.
    »Ist schon raus, ob er seine Eltern wirklich umgebracht hat?«, wollte sie von Hoogens wissen.
    »Wir haben die Nissens exhumiert und obduziert«, erklärte Hoogens. »Aber es ist nach so langer Zeit schwer zu beurteilen, woran sie genau gestorben sind. Ich traue dem Kerl inzwischen alles zu. Er war völlig kaputt. Und der einzige Odisworther
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