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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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selbst Rolf auf keinen Fall entkommen lassen. Mit einem Krachen erwischte ihn die Stoßstange an der Hüfte. Er wurde durch die Luft gewirbelt und schlitterte über den Schotter.
    Jule trat auf die Bremse. Ihr Kinn stieß gegen das Lenkrad. Weiße Sterne erglühten grell im Dunkel hinter ihren Lidern und erloschen sofort wieder. Sie schaute in den Außenspiegel, den Rückspiegel. Wo war er? Wo war er?
    Der Zusammenstoß hatte ihn zur Seite geschleudert, vor den alten Baum mit der Schaukel. Jule schrie zornig auf. Seine Verletzungen bedeuteten seinem Wahnsinn nichts. Er hatte sich in einer bizarren Pose bereits halb wieder aufgerappelt. Seine Beine waren weit gespreizt, und er drückte seinen Oberkörper mit beiden Armen langsam vom Boden hoch. An der Haltung seines Kopfes erkannte sie, dass er nicht zum Auto schaute. Er schaute nach wie vor unbeirrt auf Caro, die heulte und schrie, und Jule war sicher, dass es sich in seinen Ohren so anhören musste, als würde sie noch immer nach ihm rufen.
    Sie legte den Rückwärtsgang ein. Der Motor brüllte gierig auf, als sie mit Vollgas den Baum anvisierte. Es gelang ihr nicht, das Lenkrad ruhig zu halten. Der Wagen schien dem einsetzenden Schlingern wie von selbst entgegenzuwirken. Jule verfehlte ihr Ziel nicht. Rolf verschwand aus ihrem Blickfeld. Sofort erschütterte ein dumpfer Schlag das Heck des BMW. Das Auto neigte sich ein Stück zur Seite. Jule spürte einen Widerstand im Gaspedal. Vom Unterboden kam ein Poltern, als würde sie über einen besonders hohen Bordstein fahren und einen winzigen Augenblick darauf aufsetzen. Der blitzschnelle Vorgang wiederholte sich an der Vorderachse. Dann krachte das Heck gegen den Baumstamm. Jule hörte einen lauten Knall, schlug mit der Stirn gegen das Lenkrad und stürzte in ein weißes Nichts, in dem sich ihr Bewusstsein verlor.

155
     
    Stefan Hoogens traf als Erster am Ort des unglaublichen Geschehens ein. Er war noch nicht einmal aus dem Wagen gestiegen, als ihm ein für alle Mal klar wurde, dass er in einer Welt lebte, in der alles möglich war.
    Es war möglich, dass ihn eine blonde Frau im Brautkleid, die in der Tür der halben Ruine stand, mit klagenden Hilferufen empfing.
    Es war möglich, dass sein Partner als regloses Bündel einige Meter vor ihm im Dreck lag, den Kopf in einer Blutlache.
    Es war möglich, dass eine Frau in einem schwarzen BMW im Rückwärtsgang einen Mann von der Statur eines Bären überfahren hatte und dann gegen einen Baum geprallt war.
    Und als er mit gezogener Waffe an diesen Mann herantrat, musste Hoogens erkennen, dass noch etwas möglich war: Der Kerl lebte noch. Quer über seinen Brustkorb hatten die Reifen des Wagens einen Graben gezogen, in dem Fleisch und Knochen zu einem feuchten Brei zermalmt worden waren. Und der Kerl lebte immer noch.
    Aus glasigen Augen starrte er zu Hoogens hoch. Seine Lippen formten Worte, aber seine Lungen lieferten nicht mehr die nötige Luft, um ihn zu verstehen. Im gleichen Moment, in dem er den Mund und die Augen schloss, erstarb der Motor des Wagens, der ihn zur Strecke gebracht hatte.

Epilog
     
    Jules Lieblingsbank im Park des Kreiskrankenhauses Rendsburg stand fünf Schritte von einer Vogeltränke entfernt. Sie saß gern hier in der Sonne und beobachtete die Vögel. Sie musste länger in der Klinik bleiben, als es bei einem Schleudertrauma üblich war, weil ihre neurologischen Befunde im Nackenbereich den Ärzten gewisse Sorgen bereiteten. Jule betrachtete die Angelegenheit wesentlich lockerer als die Mediziner. Ein steifer Nacken schien ihr ein akzeptabler Preis dafür zu sein, dass sie noch am Leben war.
    Sie hatte keinerlei Erinnerung daran, wie sie in die Klinik transportiert worden war. Die Bilder in ihrem Kopf von den Vorfällen vor dem Gehöft brachen mit dem Auslösen des Airbags ab. Nachdem sie einigermaßen bei sich gewesen war, hatte sie nach Caro und Smolski gefragt. Es stellte sich heraus, dass die beiden ebenfalls nach Rendsburg gebracht worden waren – Smolski lag sogar auf derselben Station wie sie. Nur für den anderen Mann, so hatte es ihr eine Krankenschwester mit Mitgefühl erklärt, habe man leider nichts mehr tun können. Er sei bereits auf dem Transport seinen schweren Verletzungen erlegen. Jule hatte sich seitdem oft gefragt, wie die Krankenschwester wohl ihre Tränen ob dieser Nachricht gedeutet hatte. Mit Trauer hatten sie natürlich nichts zu tun gehabt. Im Gegenteil. Sie hatte vor Glück geweint. Und vor Genugtuung.
    Einem
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