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Was der Nachtwind verspricht

Was der Nachtwind verspricht

Titel: Was der Nachtwind verspricht
Autoren: Johanna Lindsey
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    Provinz Ukraine, Russland , 1836
    Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand Konstantin Rubliow am Fenster seines Salons und schaute zu der Staubwolke hin, die langsam näher kam. Das Fenster an der Vorderseite des Hauses ging auf die Straße hinaus, die sich an seinem Landsitz entlangschlängelte und bis zum Dnjepr im Osten führte. An klaren Tagen konnte man vom ersten Stock des Hauses aus den Fluss gerade noch erkennen. Von seinem Aussichtspunkt am Fenster des Salons war die Straße nach Westen bis zum Horizont zu sehen. Und von dort näherte sich die Staubwolke.
    Wenn er nicht gewusst hätte, dass heute ein Rennen war, hätte es ihm der Anblick der vielen Menschen verraten, die sich zu beiden Seiten der Straße jenseits seines Hauses drängten. Seine Kosaken liebten ein gutes Rennen so sehr wie einen guten Kampf. Es waren zähe, schnell aufbrausende, temperamentvolle Menschen, die immer lachten, sangen oder kämpften - und eine geradezu glühende Loyalität besaßen.
    Genaugenommen gehörten sie ihm ja nicht, obwohl er sie immer >seine< Kosaken nannte, weil sie schon seit so langer Zeit bei seiner Familie waren. Auch die Kosaken betrachteten ihn und die Seinen als zu ihnen gehörig. Aber >Kosake< bedeutete >freier Krieger<, und das waren diese Kosaken ganz gewiss . Da sein Ururgroßvater ihnen die Erlaubnis gegeben hatte, sich auf seinem Land niederzulassen und dort mit ihren Familien in Frieden zu leben, hatten sie seit dieser Zeit alle nur erdenklichen Arbeiten für die Rubliows verrichtet. Aus ihren Reihen kamen die Dienstboten für Konstantins Haus, sie züchteten seine Pferde und bewachten ihn und seine Familie, wenn sie auf Reisen waren.
    Die Siedlung, die sie vor langer Zeit gegründet hatten, hatte sich zu einer blühenden Stadt entwickelt, die kaum eine Viertelmeile westlich von seinem Landsitz lag. Die Razins, die während all dieser Jahre die Führer der Stadt gestellt und drei Viertel der Stadt mit den vielen Zweigen ihrer Familie bevölkert hatten, waren so wohlhabend wie die Rubliows geworden.
    Mit ihrer Hilfe züchtete Konstantin heute Pferde für die Armee des Zaren und Vollblüter für Adlige, die es sich leisten konnten. Seine Zuckerrüben waren überall auf den Märkten von Kiew und in den Siedlungen entlang des Dnjepr zu finden, sein Weizen brachte hohe Gewinne an der Schwarzmeerküste. Von Jahr zu Jahr mehrte sich sein Reichtum, denn er hatte sich immer tatkräftig um seine Pferde und um sein Land gekümmert. Nach dem Tod seiner Frau vor zehn Jahren war er - im Gegensatz zu den meisten russischen Adligen, die in der Regel nicht auf ihrem Grund und Boden lebten - auf seinen Landsitz gezogen. Nur seine Schwester machte noch gelegentlich Gebrauch von dem Stadthaus in Moskau und dem Palais der Rubliows in St. Petersburg.
    »Das wird dir gar nicht gefallen, mein Schatz.«
    Konstantin sah die Frau nicht an, die gerade gesprochen hatte. Anna Weriowka stand kaum einen Meter entfernt von ihm am nächsten Fenster und beobachtete wie er die Szene, die sich vor dem Haus abspielte. Anna gehörte zu den wenigen Frauen, die nie zu altern schienen. Mit ihrem dunkelbraunen Haar, das immer makellos frisiert war, ihren noch dunkleren braunen Augen und ihren regelmäßigen Gesichtszügen, die ihr eine unvergängliche Schönheit verliehen, war ihr nicht anzusehen, dass sie bereits fünfunddreißig Jahre alt war.
    Nicht das, was sie sagte, sondern der Ton ihrer Stimme veranlasste Konstantin, seine Hände auf den Fenstersims zu stützen und angestrengt auf die herandonnernden Pferde zu starren.
    Tief in seinem Innern wusste er, was er sehen würde. Es würde weder das erste noch - wie er fürchtete - das letzte Mal sein. Aber einen Moment lang konnte er nur die Staubwolke sehen, die fast das Haus erreicht hatte, und in ihrem Zentrum die verschwommenen Umrisse von sechs Vollblütern, die sich auf der engen Straße drängten. Pelzmützen, flatternde Rockschöße, geschmeidige Beine, die auf das Ziel im nahen Dorf zurasten, und ein großer weißer Wolfshund, der bellend neben der Straße dahinjagte und die Tiere zu noch größerer Geschwindigkeit antrieb. Und wo immer dieser Hund war ...
    »Alex wird gewinnen«, sagte Anna überzeugt.
    »Natürlich wird Alex gewinnen«, schimpfte Konstantin und sah zu, wie der Reiter an der Spitze der Gruppe auf den Sattel kletterte, dort kauerte und sich dann langsam in den Stand erhob. Er schleuderte seine Pelzmütze in die Luft und lachte, während die anderen Reiter ihn
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