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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod
Autoren: Ole Kristiansen
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außer Andreas Bertram, der davon etwas mitgekriegt hat, war Erich Fehrs. Den kannte er ja quasi, seit er auf der Welt war. Mit dem hat er sich mehr oder minder regelmäßig getroffen, um zusammen ein paar Korn zu kippen. Wie man das eben auf dem Land unter guten Nachbarn so macht. Fehrs hat nicht wirklich geschnallt, wen er da bei sich am Tisch sitzen hat. Obwohl er jetzt natürlich behauptet, er hätte schon immer geahnt, dass Rolf Behr nicht ganz richtig im Kopf ist.« Hoogens winkte ab. »Hinterher wollen es plötzlich immer alle gewusst haben.«
    Sie schwiegen eine Weile. Der Spatz hatte sich satt gefressen und flog davon. Die Taube wagte sich von dem Baum herunter und gurrte bettelnd.
    »Eins verstehe ich nicht«, sagte Jule. »Warum hat er Mangels gegenüber eingewilligt, sein Land zu verkaufen?«
    »Vielleicht wollte er abhauen«, schlug Hoogens vor. »Irgendwo anders weitermachen.«
    »Nein, das denke ich nicht«, wandte Smolski ein. »Ich glaube, er hat gedacht, er könnte mit dir in Hamburg noch einmal ganz von vorn anfangen. Ein völlig anderes Leben beginnen.«
    »Mit mir?«
    »Na ja, mit Kirsten.«
    »Wann ist eigentlich die Beerdigung?«, fragte Jule.
    »Von Kirsten Küver? Anfang nächster Woche, denke ich«, sagte Hoogens. »Warum? Willst du da hin?«
    »Nein.« Jule hatte in den letzten Tagen viel Zeit zum Nachdenken gehabt und war zu einem Schluss gekommen, der sie selbst am meisten irritierte. Wenn sie Hoogens und Smolski davon erzählte, würden sie sie wohl für verrückt erklären oder wenigstens für abergläubisch. »Was passiert mit meinem Auto?«
    »Der Wagen ist hinüber«, sagte Hoogens. »Die Hinterachse ist gebrochen. Die Spurensicherung nimmt ihn noch einmal auseinander, und dann wandert er auf den Schrottplatz.«
    »Warum ist er für die Spurensicherung so interessant?«, hakte Jule nach.
    »Weil wir davon ausgehen müssen, dass Rolf Behr ihn dazu benutzt hat, einige seiner Opfer zu transportieren.«
    Jule nickte gefasst. Es war tatsächlich so, wie sie gedacht hatte. Und sie wusste genau, wessen Leiche Rolf im Kofferraum des schwarzen BMW zu ihrer vorerst letzten Ruhestätte gebracht hatte. »Wärst du so lieb, mir Bescheid zu geben, sobald deine Leute fertig sind, damit ich noch mal an den Wagen kann, bevor er in der Schrottpresse landet?«, fragte sie Smolski.
    Smolski nickte »Klar. Kein Problem.«
    »Danke.«
    Die Taube flog auf. Jule schaute ihr lange nach.
    Der Ohlsdorfer Friedhof erstreckte sich über eine Fläche, in der ein kleines Dorf wie Odisworth mehrfach Platz gefunden hätte. Er war so groß, dass zwei Buslinien durch ihn hindurchführten. Jule brauchte fast eine Stunde, um das Grab zu finden, das sie suchte. Es war schlicht, mit einem geschmackvollen Stein aus weißem Marmor, zu dessen Fuß ein Grablicht brannte.
    Sie schaute sich um, ob sie auch niemand hören konnte, bevor sie sich an die Frau wandte, die tief unter ihr in der feuchten Erde ruhte. »Ich hätte viel früher kommen sollen. Aber ich hatte zu viel Angst davor. Bitte versteh das nicht falsch. Du warst mir nicht egal. Du bist mir nicht egal. Und du wirst mir nie egal sein. Dabei haben wir uns gar nicht gekannt.« Sie stockte. »Ich habe uns beiden immer nur Vorwürfe gemacht. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? Warum hast du nicht besser aufgepasst? Warum hast du an dem Tag, an dem wir uns begegnet sind, keinen anderen Weg genommen? Warum habe ich keinen anderen Weg genommen? Es hat lange gedauert, aber jetzt habe ich es endlich begriffen. Die Antwort auf all diese Fragen ist, dass wir in einer Welt leben, in der Dinge einfach geschehen. Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben. Dinge, die wir nicht kontrollieren können. Manche davon sind schrecklich. Wie das, was uns geschehen ist. Aber sie sind nicht alle schrecklich. Manche davon sind wunderschön, und es tut mir so unfassbar leid, dass du sie nicht mehr sehen kannst. Aber es ist nicht meine Schuld, und es ist nicht deine Schuld. Wir haben einander nichts zu verzeihen. Man kann nur jemandem verzeihen, der etwas falsch gemacht hat. Wir haben nichts falsch gemacht. Manchmal macht die Welt etwas falsch. Ich wollte nur, dass du das weißt.«
    Sie drehte sich um, ging zurück zur nächsten Bushaltestelle, unbekümmert der Menschen, die sie weinen sahen.
    Sie fuhr zum Hauptbahnhof und nahm sich einen Mietwagen. Vielleicht war es fahrlässig von ihr, wieder in ein Auto zu steigen, obwohl ihr Nacken noch etwas steif war, aber der graue Polo brachte sie
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