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Der Weg in Die Schatten

Titel: Der Weg in Die Schatten
Autoren: Brent Weeks
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gedauert, und Azoth war sich sicher, dass niemand die Taverne verlassen hatte. Hatten sie alle einander getötet?
    Er fror, und nicht nur wegen des Wassers. Der Tod war kein Fremder im Labyrinth der Vorstadt, aber Azoth hatte noch niemals Menschen so schnell und so mühelos sterben sehen.
    Obwohl er doppelt vorsichtig war, um der Spinne nicht wieder zu begegnen, hatte Azoth binnen weniger Minuten sechs Kupfermünzen gefunden. Wenn er mutiger gewesen wäre, hätte er die Leichen in der Taverne geplündert, aber Azoth konnte nicht glauben, dass Durzo Blint tot war. Vielleicht war er ein Dämon, wie die anderen Gilderatten sagten. Vielleicht stand er draußen und wartete darauf, Azoth zu töten, weil er ihn ausspioniert hatte.
    Mit von Furcht enger Brust drehte Azoth sich um und schob sich auf sein Loch zu. Sechs Kupfermünzen waren gut. Ratte verlangte nur vier, daher konnte er morgen Brot kaufen und es sich mit Jarl und Puppenmädchen teilen.
    Er war einen Schritt von der Öffnung entfernt, als etwas Helles direkt vor seiner Nase aufblitzte. Es war so nah, dass er einen
Moment brauchte, um es deutlich zu erkennen. Es war Durzo Blints riesiges Schwert, und der Blutjunge hatte es bis in den Schlamm hinein durch den Boden gerammt und damit Azoths Fluchtweg versperrt.
    Direkt über Azoth auf der anderen Seite des Bodens flüsterte Durzo Blint: »Du wirst niemals darüber sprechen. Verstanden? Ich habe schon Schlimmeres getan, als Kinder zu töten.«
    Das Schwert verschwand, und Azoth krabbelte in die Nacht hinaus. Er rannte meilenweit, ohne stehen zu bleiben.

2
    »Vier Kupfermünzen! Vier! Das sind keine vier.« Rattes Gesicht war so zornesrot, dass seine Pickel nur noch als bleiche Punkte erschienen. Er packte Jarls fadenscheiniges Gewand und hob ihn vom Boden hoch. Azoth zog den Kopf ein. Er konnte nicht hinsehen.
    »Das sind vier!«, schrie Ratte, und Speicheltröpfchen flogen durch die Luft. Als er Jarl ins Gesicht schlug, wurde Azoth klar, dass er eine Vorführung gab. Ratte schlug zwar definitiv zu, aber mit flacher Hand. So klang es lauter. Ratte beachtete Jarl nicht einmal. Er beobachtete den Rest der Gilde und genoss ihre Angst.
    »Wer ist der Nächste?«, fragte Ratte und ließ Jarl fallen. Azoth trat schnell vor, damit Ratte seinen Freund nicht trat. Mit seinen sechzehn Jahren war Ratte bereits so groß wie ein Mann, und er hatte Fett angesetzt, was ihn einzigartig unter den Sklavengeborenen machte.

    Azoth hielt ihm seine vier Kupfermünzen hin.
    »Acht, Kotzbrocken«, sagte Ratte und nahm die vier Münzen aus Azoths Hand.
    »Acht?«
    »Du musst auch für Puppenmädchen bezahlen.«
    Azoth sah sich hilfesuchend um. Einige der Großen traten von einem Fuß auf den anderen und sahen einander an, aber keiner sagte ein Wort. »Sie ist zu jung«, erwiderte Azoth. »Kleine bezahlen Abgaben erst, wenn sie acht sind.«
    Die Aufmerksamkeit verlagerte sich auf Puppenmädchen, die im Schmutz der ungepflasterten Gasse saß. Sie bemerkte die Blicke und schrumpfte in sich zusammen. Puppenmädchen war winzig, mit riesigen Augen, aber unter dem Schmutz waren ihre Züge so fein und perfekt wie die ihrer Namensschwester.
    »Ich sage, sie ist acht, es sei denn, sie sagt etwas anderes.« Ratte grinste boshaft. »Sag es, Puppenmädchen, sag es, oder ich verprügle deinen Freund.« Puppenmädchens große Augen wurden noch größer, und Ratte lachte. Azoth protestierte nicht; er wies nicht darauf hin, dass Puppenmädchen stumm war. Ratte wusste es. Alle wussten es. Aber Ratte war die Faust. Er war nur Ja’laliel Rechenschaft schuldig, und Ja’laliel war nicht hier.
    Ratte zog Azoth zu sich heran und senkte die Stimme. »Warum gesellst du dich nicht zu meinen hübschen Jungs, Azo? Dann wirst du nie wieder Abgaben zahlen müssen.«
    Azoth versuchte zu sprechen, aber seine Kehle war so zugeschnürt, dass er nur quiekte. Ratte lachte abermals, und alle stimmten in sein Gelächter ein; einige genossen Azoths Demütigung, andere hofften nur, sich Ratte gewogen zu machen, bevor sie an die Reihe kamen. Schwarzer Hass durchzuckte ihn. Er hasste Ratte, hasste die Gilde, hasste sich selbst.
    Er räusperte sich, um es noch einmal zu versuchen. Ratte fing
seinen Blick auf und feixte. Ratte war groß, aber er war nicht dumm. Er wusste, wie weit er Azoth trieb. Er wusste, dass Azoth angstvoll klein beigeben würde, genau wie alle anderen auch.
    Azoth spuckte Ratte mitten ins Gesicht. »Du kannst mich mal, Ratty Fatty.«
    Eine halbe Ewigkeit
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