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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten
Autoren: Kari F. Braenne
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sprechen. Es geht hin und her, als würden sie sich gegenseitig beschießen. Luke versucht, nicht hinzuhören, aber er kann es nicht lassen. Jedes einzelne Wort bekommt er mit.
    «Kannst du nicht einfach sagen, was los ist?», sagt das Weibchen zum Männchen.
    «Wie,
los

    «Mit dir.»
    «Was soll mit mir los sein?»
    Das Lavamonstermännchen nimmt die Sonnenbrille ab. Das Weibchen starrt das Männchen lange an.
    «Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Liebling», sagt das Männchen und lächelt. Lukas hört, dass es lächelt, denn er weiß genau, wie das Männchen klingt, wenn es lächelt und es nicht ehrlich meint.
    «Warum tust du das?», sagt das Weibchen.
    «Was denn?»
    Sie stöhnt.
    «So grinsen. Wir wollten doch ein paar schöne Tage genießen. Du versuchst es ja nicht mal.»
    Auf dem Bauch robbt Lukas ein Stück vorwärts und späht zwischen den Büchern im Regal hindurch. Sie sehen nicht fröhlich aus. Sie waren den ganzen Tag nicht fröhlich, und auch gestern nicht. Sie waren die ganze Zeit zwei ziemlich ätzende Lavamonster. Er legt die Hand auf den Boden und spürt ein schwaches Vibrieren. Wenn diese dummen Monster nicht bald aufhören, gibt es noch ein Erdbeben, und der Vulkan explodiert und speit Lava und Flammen. Vielleicht sollte er sie unschädlich machen, bevor es so weit kommt. Luke setzt den Schalldämpfer auf die Pistole und zielt. Er schießt so leise, dass sie es nicht hören. Pscht – bumm. Pscht – bumm. Aber sie sterben nicht, sie merken es nicht einmal. Die Laserpfeile dringen einfach in sie ein und verschwinden.
    «Musst du immer so verdammt aalglatt sein?»
    «Aalglatt?»
    «Ich sehe doch, dass du spielst.»
    Sie spricht jetzt leiser. Fast klingt es, als spräche sie mit sich selbst.
    «Die ganze Zeit spielst du nur. Aber in dir ist trotzdem etwas, das du nicht verbergen kannst.»
    «That really makes sense, honey. Gib mir einen Kuss.»
    «Irgendwas hinter deinen Augen.»
    «Must be that wild gypsy blood.»
    «Das ist doch auch bloß eine Rolle, weißt du. Du hast genauso wenig Zigeunerblut in dir wie ich.»
    «Da irrst du dich, mein Schatz.»
    «Das Großbürgertum, Robert. Da hast du diese blöde Oberflächlichkeit gelernt. Kannst du nicht ein Mal nur du selbst sein?»
    «Ist das jetzt die
tiefsinnige Unterhaltung
? Jon Fosse, komm, hör zu, hier findet gerade die tiefsinnige Unterhaltung statt.»
    Das Männchen lacht, aber es klingt nicht echt. Lukas hört, dass es traurig ist. Papa ist sehr traurig, aber das hört Mama nicht. Weil Papa nicht will, dass sie es hört.
    «Ein Mal nicht spielen. Einfach nur so sein, wie du wirklich bist.»
    «So? Oder so?»
    Papa schneidet Grimassen.
    Mama beugt sich über den kleinen Koffer, trägt ihn hinaus in den Flur und kommt zurück.
    «Du bist nicht lustig. Kein bisschen lustig.»
    Lukas schleicht sich in die Küche, nimmt das Brot aus der Schublade und schneidet zwei dicke Scheiben ab. Er holt Milch und Himbeermarmelade aus dem Kühlschrank und nimmt sich viel mehr Marmelade, als er darf. Aber das kümmert ja gerade niemanden. Er legt seine Butterbrote auf einen Teller und schneidet ein Stück für Wolf ab.
    «Da, Wolf, bitte schön, namm, namm.»
    Lukas beißt ein großes Stück von seinem Brot ab. Doch obwohl er richtigen Heißhunger hat, bekommt er es kaum hinunter. Sein Hals ist ganz eng. Und seine Augen laufen über vor Tränen.
    «Scheiße», sagt er, obwohl er weiß, dass es ein böses Wort ist. Aber außer Wolf hört ihn keiner. Außerdem fluchen sie ja selbst, diese dummen Lavamonster, und das ist noch viel schlimmer.
    Als Mama weiterspricht, hört er ihre Stimme, ob er will oder nicht.
    «Warum, zum Teufel, kannst du nicht einfach sagen, wie schade du es findest, dass ich abreisen muss? Und dass wir dieses Wochenende nicht gemeinsam verbringen können?»
    Papa antwortet nicht.
    «Fällt es dir so schwer,
auszusprechen,
dass du traurig bist, weil ich nicht zur Premiere kommen kann?»
    Sie hält inne, dann fährt sie fort: «Mir tut es auch leid. Aber was soll ich denn machen? Kannst du nicht irgendwas sagen? Vielleicht ist dir das alles ja auch scheißegal?»
    Sie wartet. Papa ist stumm wie ein Fisch.
    «In letzter Zeit bist du so merkwürdig, dass ich fast Angst habe, euch hier allein zu lassen.»
    «Tatsächlich?»
    «Ich frage mich manchmal, ob es sicher ist – für Lukas. Ob nicht am Ende noch etwas passiert.»
    Eine ganze Weile herrscht Schweigen.
    «Ich bin traurig, dass du nicht zur Premiere kommst», sagt Papa künstlich.
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