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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten
Autoren: Kari F. Braenne
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Erinnerst du dich? Es war so schön. Alles war so schön. Du und ich – auf dem Pfad. Unter den Bäumen. Ich vorweg, du hinter mir. Dieses Licht, die Sonne über der Heide, als wir ankamen. Aufschließen, eintreten. Nachsehen, ob alles in Ordnung, alles an seinem Platz ist. Ob jemand da gewesen ist.
    Wie wir auf unserer Treppe vor der Hütte saßen. Sie gehörte nur uns. Ein Bier im Rucksack, fast noch kalt. Wie wir Essen kochten, in der kleinen Küchennische. Eine Puppenmahlzeit. Weißt du noch, wie schön es war, sich auf dem Bettsofa zusammenzurollen, eng umschlungen, um die Wärme zu halten. Ein schwacher Geruch nach Schimmel. Aber hauptsächlich nach Fichten, Kiefern. Moos und Heidekraut. Der Geruch der torfigen Erde. Und die Mücken, die uns um die Ohren summten. Manchmal bist du aufgestanden, hast nach ihnen geschlagen. Ich habe dann gelacht, aber nicht laut. Und am nächsten Morgen wachten wir auf, mit einem Stich auf der Wange und einem am Arm. Ich weiß noch, wie es gejuckt hat. Eine kleine rote Erhebung auf der hellen Haut am Unterarm. Wie Perlmutt war meine Haut. Du hast sie geliebt, erinnerst du dich? Du hast mich mit Küssen bedeckt, hast mich festgehalten. So fest. Und dann geriet alles ins Stocken. Du solltest mich jetzt mal sehen.
    Am Morgen, wenn der Nebel im Morgengrauen über das Moor zog, war es immer am schönsten. Die Fenster beschlagen. Drinnen feucht, draußen kühl. Die fließende Sonne. Darüber thronte der Himmel, so blau, so klar. So still. In der Ruhe des Waldes aufzuwachen. Erinnerst du dich an die Lichtstreifen zwischen den Bäumen? An den kleinen Bach mit Quellwasser? Wir brauchten keinen Brunnen. Wir brauchten ihn nicht, aber du hast ihn trotzdem gebohrt. Tief. Es war nie richtig Wasser darin, nur Schlamm. Dunkles Moorwasser.
    Weißt du noch, als wir die Kreuzotter entdeckten, die auf dem Pfad lag und sich sonnte? Du wolltest sie totschlagen. Du hattest Angst, sie könnte mich beißen. Du wolltest sie mit der Axt töten, sie mit einem Hieb in zwei Stücke teilen. Ich habe dich aufgehalten. Sie ist schön, habe ich gesagt. Sieh doch, wie schön sie ist.
    Und wie man es plötzlich in den Beinen merkte, den steilen Pfad, den weiten Weg. Ein spätes Frühstück auf der Hügelkuppe, Kaffee aus der Thermoskanne. Und der folgende Abend, so lang und intensiv. Die Sonne sahen wir am längsten, wenn wir dort oben saßen. Wir hielten den goldenen Moment fest, ehe sie verschwand. Liebten uns vor dieser Aussicht, im Sonnenuntergang. Weißt du noch, wie du danach die Tannennadeln aus meinen Haaren gepflückt hast? Und mich noch einmal küsstest, auf den Mund. Weißt du noch, dass ich einen Mund hatte? Wenn wir zu lange warteten, war der Pfad schwer zu finden. Schwer, wenn wir warteten, bis alles zu Ende war. Dicht war die Dunkelheit. Es gab keinen Weg zurück. Hinaus und man verschwindet. Hinaus und alles ist vorbei.
    Warum bin ich so allein? Warum kann ich nicht schlafen? Warum muss ich warten? Warten, suchen, sehnen. Was, wenn ich länger als hundert Jahre warten muss?

[zur Inhaltsübersicht]
    1
    Der Kopfschmerz bohrt hinter Wilhelms grauen Schläfen, aber er widersteht dem Drang, sie mit den Fingern zu massieren. Er behält beide Hände am Steuer und konzentriert sich auf die Straße, die sich in sanften Kurven durch Pittsburghs bessere Gegenden windet, bis er den Garten in Squirrel Hill erreicht, den neuen Auftrag. Er stellt den Motor ab, zieht die Handbremse an.
    Auf der anderen Straßenseite liegt der Hillside Cemetery. Er muss nicht hinsehen, er weiß, dass er dort ist, mit all seinen Grabsteinen und eingravierten Namen. Wieder spürt er den Druck hinter der Stirn und schließt die Augen für einen Moment, dann öffnet er die Tür und steigt aus.
    «Come on, boy», sagt er zum Hund. Jack freut sich auf einen Spaziergang und springt schwanzwedelnd hinter ihm her.
    Die Hitze steht wie eine Wand vor ihm. Der Wechsel vom klimatisierten, kühlen Auto in die Wärme ist ein Schock. Nach all den Jahren hat er sich immer noch nicht daran gewöhnt. Der Gartenbesitzer Mr. Hamilton erscheint auf der Außentreppe der großen Villa. Er begrüßt ihn mit ausgestreckter Hand.
    «Nice to meet you», sagt er.
    Wilhelm nickt und hält den Hund, der auf den Gartenbesitzer zuspringen will, am Halsband fest. Hamilton lässt den Hund an seiner Hand schnuppern, bevor er ihn streichelt.
    «Ein Rhodesian Ridgeback?»
    «Nur ein Straßenköter.»
    «Nice dog.»
    «Ich will ihn demnächst loswerden.»
    «Ach, warum
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