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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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den Hochschulen. In einer solchen Horde fühlt sich nicht jeder wohl und zartbesaitete Zeitgenossen, die mit ihrer anderen Art der Waldwirtschaft neue Impulse geben könnten, werden eher abgeschreckt. Als ob das noch nicht reichte, kommt noch das Thema Jagd hinzu. Förster sind eine der wenigen Berufsgruppen, die dienstlich und somit kostenfrei jagen können. Zudem gibt es als Studienfach den Jagdschein gratis obendrauf. Aus diesem Grund ziehen forstliche Studiengänge viele junge Menschen aus Förster- oder Jägerfamilien an, denen nicht der Wald, sondern die Trophäenjagd sehr am Herzen liegt. Eine geistige Erneuerung, ein Befreiungsschlag für die geschundenen Wälder ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Abhilfe könnten meiner Meinung nach Quereinsteiger schaffen, die man zu Professoren ernennen könnte. Lutz Fähser, ehemaliger Leiter des nach Greenpeace-Standards bewirtschafteten Stadtwalds Lübeck, wäre so ein Kandidat. Doch der eloquente Förster gilt in Fachkreisen als forstlicher Spinner und der Lübecker Stadtwald als abschreckendes Beispiel, das keinesfalls Schule machen soll, schließlich kombiniert er die Plenterwirtschaft mit Schutzgebieten. Wenn das jeder Kollege umsetzen müsste – nicht auszudenken …

Hoffnung am Horizont?
    Gibt es in Mitteleuropa nicht viele schöne Wälder? Habe ich nicht alles ein bisschen zu krass geschildert? Nein. Es fällt nur kaum jemandem auf, wie kaputt diese Ökosysteme sind. Und das hängt mit dem Gewöhnungseffekt zusammen. Dazu würde ich mit Ihnen gern eine kleine Zeitreise in die Zukunft machen, und zwar auf die Insel Borneo. Die Regenwälder dort sind heute schon fast vollständig verschwunden und überall erstrecken sich Öl palmplantagen bis zum Horizont. Viele heimische Tier- und Pflan zenarten sind ausgerottet und die Orang-Utans finden kaum noch einen intakten Platz zum Überleben.
    Einige Jahrzehnte später hat sich die Bevölkerung an die Palmen, die ursprünglich aus Afrika stammen, gewöhnt. Wenige Vogel-, Säugetier- und Insektenarten konnten sich anpassen und leben nun in diesen Monokulturen. Ein kleines bisschen Artenvielfalt ist also geblieben. Die Kinder und Kindeskinder finden diese »Wälder« inzwischen normal, wissen nichts mehr vom einstigen Urwald und ihren Bewohnern. Proteste gegen Ölpalmpflanzungen sind unbekannt, warum auch? Palmen in den Tropen sind idyllisch, produzieren nebenbei Nahrungsmittel und Treibstoff und dienen dabei etlichen Tieren und Pflanzen als Ökosystem. Wenn nun noch für jeden Baum, der gefällt wird, ein neuer gepflanzt wird, so ist der Nachhaltigkeit Genüge getan, oder?
    Wir hingegen sind längst in diesem Szenario angekommen. Nadelhölzer auf großer Fläche, eine enorme Artenverarmung und keinerlei Urwald mehr, daran haben wir uns seit Generationen gewöhnt. Protestieren würden wir nur, wenn diese Plantagen verschwinden würden. Aber da die meisten Förster dieses System erhalten wollen, herrscht hier größtenteils Konsens mit der Bevölkerung. Was wir wirklich verloren haben, was es noch zu retten oder wiederherzustellen gilt, wissen wir gar nicht mehr. Wer hat schon einmal einen europäischen Urwald gesehen, Bäume, die in Würde altern dürfen oder eine Baumjugend, die sich mit dem Wachstum noch Zeit nehmen darf? Und ohne diesen Vergleich ist es sehr schwer, die Missstände in unseren Kunstforsten wahrzunehmen.
    Sind alle Förster Waldschinder? Nein, natürlich nicht. Ich kenne einige Kollegen, die sich aufopfernd um ihr Revier kümmern. Sie möchten der Natur zu ihrem Recht verhelfen, wollen urwaldähnliche Waldstrukturen aufbauen und das Rad der Plantagengeschichte zurückdrehen. Organisiert sind sie europaweit im Verein Prosilva. Einen ähnlichen Zusammenschluss gibt es mit dem Ökologischen Jagdverband bei ökologisch orientierten Jägern.
    Trotzdem bleibe ich bei meinen Aussagen. Denn ich schätze, dass 95 Prozent der Jäger und Förster genauso handeln, wie ich es beschrieben habe. Unsere Waldwirtschaft wird tatsächlich auf dem Niveau eines Entwicklungslands betrieben, nur besser verbrämt.
    Etwas Optimismus möchte ich Ihnen zum Schluss dennoch mitgeben. Dazu reisen wir gedanklich noch einmal nach Brasilien. Die tropischen Regenwälder dort gelten als artenreichste, aber auch besonders fragile Ökosysteme. Manche Arten kommen nur auf wenigen Quadratkilometern vor und ein Hektar Wald, eine Fläche von 100 mal 100 Metern, weist oft mehr Baumarten auf als ganz Mitteleuropa. Holzt man hier
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