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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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Studienzweig oder Lehrberuf und so schrieb ich mich nach dem Abitur für ein Biologiestudium ein, auch wenn mir nicht so richtig klar war, was ich damit später anfangen sollte. Eines Tages brachte mir meine Mutter einen Artikel aus der Tageszeitung, in dem die Bezirksregierung Koblenz Stel len für eine interne Ausbildung zum Förster ausschrieb. Neben 200 anderen Bewerberinnen und Bewerbern schwitzte ich im Auswahltest über politischen Fragen, rechnete kleine Testaufgaben und wurde schließlich vor ein dreiköpfiges Gremium geladen. Hier stellte man die üblichen Fragen, zum Beispiel warum man Förster werden wolle. Und dann wurde es brenzlig: »Waren Sie schon bei der Bundeswehr oder werden Sie noch eingezogen?« Ich wurde rot. Nein, antwortete ich, ich sei aufgrund meiner Körpergröße von 1,98 Metern freigestellt worden. Untauglich also. Dumm nur, dass die Forstverwaltungen erzkonservative Behörden waren, die das Militärische geradezu liebten. Kein Wunder, rekrutierten sich die grünberockten Waldwächter doch früher aus den soldatischen Jägerregimentern – und auch jetzt noch wurde jeder, der nicht gedient hatte, argwöhnisch beäugt.
    Ich wähnte mich also durchgefallen und sah mich schon als Biologiestudent im Hörsaal sitzen. Umso mehr überraschte mich Wochen später die Zusage, zum 1. September 1983 als Dienstanfänger eingestellt zu werden. Hurra!
    Am Einstellungstermin wurden wir nach Koblenz zu einem Empfang des Regierungspräsidenten eingeladen, der anders als erwartet verlief. So ließ der ergraute Politiker keinen Sekt mit Häppchen reichen, sondern ermahnte uns polternd, keine modernen Radiosender zu hören. Eingeschüchtert warteten wir auf den nächsten Programmpunkt, doch das war’s: Willkommen in der Realität!
    Das Dienstanfängerjahr entpuppte sich als ein Praktikum, das dem eigentlichen Studium vorgeschaltet war. Es war eine lustige, unbeschwerte Zeit mit den anderen jungen Kollegen, wenngleich uns immer wieder klargemacht wurde, dass wir die Anfänger waren und auf der niedrigsten Stufe standen. Wir waren schließlich noch keine Beamten. Ich verbrachte viel Zeit bei den Waldarbeitern des Lehrreviers und verrichtete schwere körperliche Arbeit. Ob Holzernte, Zaunbau oder Pflanzung, bei Wind und Wetter lernte ich das Spektrum der Aufgaben kennen. Die Arbeiter freuten sich, denn ihr Akkordlohn stieg durch meine Mitarbeit, die sie einfach als ihre eigene Arbeit verbuchten.
    An meinem ersten Arbeitstag wurde ich gleich mit der grünen Realität konfrontiert. Ich hatte damals als 19-Jähriger kein Auto, sondern legte die 15 Kilometer bis zum Forsthaus meines Lehrherren mit dem Fahrrad zurück. Meine Kleidung bestand aus einer blauen, wattierten Jacke und einer hellblauen Jeans. Ich weiß das deshalb noch so genau, weil es mir schon in den ersten Stunden meines neuen Daseins peinlich war. Blau! Das ging gar nicht. Selbst Dienstanfänger hatten Grün zu tragen, und so kaufte ich mir am nächsten Wochenende in einem Jagdkaufhaus in Bonn eine Kniebundhose aus Cord sowie ein Jagdhemd – natürlich in Olivgrün. Meine Mutter strickte mir passende Kniestrümpfe und so konnte ich im Dienst endlich erhobenen Hauptes auftreten.
    Das Jahr wurde durch mehrere Lehrgänge im Dörfchen Trippstadt in der Pfalz unterbrochen. Hier lernte ich die anderen Jahrgangsteilnehmer kennen. Der Umgang mit der Motorsäge stand ebenso auf dem Kursplan wie die Pflege von Anpflanzungen oder der Einsatz von Insektiziden.
    Im Herbst des darauffolgenden Jahres wurden wir alle zu Beamten auf Widerruf ernannt und an die Fachhochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg am Neckar versetzt, eine Einrichtung, die von mehreren Bundesländern gemeinsam betrieben wurde. Dieses verwaltungsinterne Studium mit zwei praktischen und zwei Hochschuljahren jeweils im Wechsel funktionierte ähnlich wie ein duales Studium: Wir bekamen ein Gehalt und verpflichteten uns dafür, hinterher bei unserer Forstverwaltung zu arbeiten. Die Fachhochschule war klein und übersichtlich, fast schon familiär, allerdings mit strengen Regeln. So galt für jede Vorlesung Anwesenheitspflicht; Diskussionen über den dargebotenen Stoff gab es nicht und waren auch nicht erwünscht. Erst später wurde mir klar, dass wir so alle auf Linie gebracht wurden.
    Ein Highlight war die Ausgabe der Uniformen. Jetzt sahen wir endlich wie richtige Förster aus! Grüne Jacken mit dunkelgrünen Aufschlägen, grüne Schulterstücke, die uns als Anwärter auswiesen, sowie ein
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