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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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wähnte ich mich schon als erfolgreichen Schützen, da bemerkte er den Hund und machte auf den Hinterbeinen kehrt. Aus der Traum, weg war er.
    Als Jäger durfte ich mich an diesem bitterkalten Wintertag trotzdem noch betätigen. Zusammen mit anderen Auszubildenden wurden wir zur Wildkammer beordert, in der die Strecke, die geschossenen Tiere, lagen. Normalerweise macht jeder Jäger sein Wild selbst verkaufsfertig, wozu es aufgebrochen werden muss. Dabei wird der Bauchraum durch einen Längsschnitt vom After bis zur Kehle geöffnet und die Innereien werden komplett entfernt. Danach kann das Fleisch auskühlen und verdirbt nicht so schnell. Bei dieser Treibjagd, zu der das Ministerium ins Forstamt geladen hatte, war es jedoch anders. Denn den Gästen war kalt und sie wollten schnell ins Wirtshaus, wo Kasseler, Kartoffelpüree, Sauerkraut und das eine oder andere Bier auf sie warteten.
    Die forstliche Jugend musste derweil bei minus fünf Grad Celsius die blutige Arbeit in der Wildkammer erledigen, bevor auch sie in die warme Wirtsstube durfte. Ich erinnere mich noch, dass ich einen dicken Keiler bearbeiten musste. Er stank wie die Pest und sein Bauch war dick und fett vom Winterfutter. Ich arbeitete mich mit klammen Händen durch die Speckschichten, hatte kaum noch Gefühl in den Fingern und wühlte Därme, Lunge und Leber heraus. Der Geruch klebte noch Tage später an meiner Haut.
    Ähnlich ging es während des ganzen praktischen Jahres zu. Immer wurde fein säuberlich zwischen den verschiedenen Rangstufen unterschieden: Ganz oben war der höhere Dienst angesiedelt, hier in Gestalt des bärtigen Forstamtsleiters. Seine Uniform zierten Schulterstücke, deren grüne Kordel silbern eingefasst war. Diese Verzierung fehlte bei den Revierleitern, aber sie hatten noch Eicheln aus Metall auf dem Geflecht. Bei mir, dem Beamtenanwärter, waren die grünen Zierstücke ungeschmückt. Damit war ich zwar als rangniedriger gekennzeichnet, aber unter mir ging es noch weiter. Die Angestellten des Forstamts, als reine Innendienstler im Büro tätig, standen damals eindeutig auf einer tieferen Stufe als ich und wurden daher bei Dienstbesprechungen nur ab und an eingeladen. Bei öffentlichen Empfängen mussten sie sogar Häppchen und Getränke reichen. Die Putzfrau schließlich, ebenfalls im öffentlichen Dienst beschäftigt, wurde selbst bei solchen Anlässen ausgeschlossen. Ich denke, dass die meisten Beschäftigten gar nicht wussten, wie sie hieß.
    Nachdem ich gelernt hatte, wie die forstliche Welt funktionierte, kehrte ich für ein weiteres Jahr an die Fachhochschule zurück. Dieses zog sich ähnlich in die Länge wie das erste, wobei der nahende Ernst des Berufslebens uns etwas fleißiger werden ließ. 14 Monate später fand unsere Staatsprüfung an einem grauen Oktobertag statt. Dazu war der gesamte Jahrgang per Bus in den Westerwald gefahren worden, um in Einzelbefragungen vor Ort Rede und Antwort zu stehen. Meine Antworten waren anscheinend in Ordnung, denn wenig später hielt ich mein Diplom in den Händen. Ich war Förster! Und weil mein Notenschnitt gut war, wurde ich gleich als Beamter übernommen. Damals war ich stolz auf das Erreichte, wähnte mich angekommen und sah mit Freude meiner beruflichen Zukunft entgegen. Dass ich meine Meinung wenige Jahre später ändern und mein mühsam erlerntes Wissen über Bord werfen sollte, ahnte ich damals noch nicht.

Vom Studium in den Wald
    Da stand ich nun als frischgebackener Förster: stolz auf meine bestandene Staatsprüfung, voller Tatendrang und mit großer Vorfreude auf die Tätigkeit im Wald. Ich sah mich schon zwischen den Bäumen umherstreifen, die frische Luft genießen, kurz, das Leben eines Revierleiters führen, denn so hatte ich es bei meinen Ausbildern während der praktischen Jahre erlebt. Die Forstdirektion holte mich jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Jungen Forstbeamten werden die Stellen angeboten, die sonst kaum jemanden aus der Verwaltung interessieren. Und für Waldmenschen ist das der Innendienst. Meine Verlobte arbeitete damals in der Verwaltung eines Industriebetriebs in Bonn und ich versuchte, so nah wie möglich an die Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen versetzt zu werden, damit wir wenigstens zusammenziehen konnten. Das Resultat war eine Büroleiterstelle in einem kleinen Forstamtsgebäude eines Eifelstädtchens.
    Am ersten Arbeitstag wurde ich überschwänglich von den beiden Angestellten begrüßt, die
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