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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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mir gleich das »Du« anboten. Bei diesen gab es eine klar definierte Rangordnung und die sogenannte erste Angestellte war ein Kaliber besonderer Güte. Die 63-Jährige qualmte die kleinen Zimmer voll, ließ sich vom zweiten Angestellten Kaffee kochen und beschied mir gleich, was ich zu tun und zu lassen hatte. Brauchte sie etwas von mir, so rief sie: »Peterli!«
    Die Wochen verflossen und allmählich wuchs mein Unbehagen. Ich hatte keine Ahnung, was so ein Büroleiter überhaupt zu tun hatte, und so besuchte ich den Kollegen eines Nachbarforstamts und ließ mir erklären, wie der Betrieb normalerweise abläuft. Dabei wurde mir klar, dass in meinem Büro nichts normal war. Ich bat die beiden Angestellten zu einer Besprechung und erklärte, ich wolle einige Abläufe an den üblichen Rahmen anpassen. Die Miene der »Ersten« versteinerte sich und statt über den Vorschlag zu diskutieren, entzog sie mir das »Du«. Damit begann ein monatelanger Kleinkrieg. Sie weigerte sich, meinen Vorgesetztenstatus zu akzeptieren, und ignorierte Aufträge oder Anweisungen. Das Ganze eskalierte an einem Nachmittag, an dem wir beide allein in dem kleinen Dienstgebäude waren. Ich bat sie, ein Schreiben an die Forstdirektion aufzusetzen, worauf sie sich die Finger in die Ohren steckte und vor sich hin murmelte, um mich nicht hören zu müssen. Da war ich mit meinem Latein am Ende.
    Auf meinen Hilferuf kam der Personalchef aus Koblenz zu uns. Aber anstatt einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen, bat er uns, doch die Hand zum Frieden auszustrecken. Da sei doch sicherlich von beiden Seiten etwas falsch gemacht worden. Das war das Stichwort für meine Widersacherin. Sie behauptete, ich würde ständig im Büro schlafen und die ganze Arbeit bei ihr abladen. Mir als 23-jährigem Berufsanfänger fiel dazu nichts mehr ein und das Gespräch wurde ergebnislos beendet. Eine Weile später, sie war mittlerweile 64, erklärte sich die Dame mit einem Auflösungsvertrag einverstanden. Die anschließenden Jahre waren wie eine Befreiung. Eine neue Mitarbeiterin kam hinzu und unser Team machte aus dem verschlafenen Laden ein modernes Amt.
    Warum ich Ihnen das erzähle? Für mich als blutjungen Förster war das die Feuertaufe, die harte Schule, die mir bei späteren Auseinandersetzungen mit der Jägerschaft half. So wollte ich mich nie wieder unterbuttern lassen. Und im Nachhinein erfuhr ich, dass die Kollegen schon Wetten abgeschlossen hatten, wie lange es wohl dauern würde, bis ich das Handtuch schmiss. Mein Vorgänger, den die Angestellte bis aufs Blut gereizt hatte, war im Forstamtsgebäude an einem Herzinfarkt gestorben.
    Die obligatorischen fünf Jahre Innendienst neigten sich allmählich dem Ende zu, da fragte mich ein alter Kollege, der kurz vor der Pensionierung stand, ob ich nicht sein Revier übernehmen wolle. Ich wusste, dass das Forstrevier Hümmel wunderschön war, aber auch einen Haken hatte. Denn von der Gemeinde wurde der Bezug des alten Forsthauses erwartet. Es stand herrlich auf einem Waldgrundstück, umgeben von hohen Bäumen und mit einer atemberaubenden Aussicht über die Eifelberge. Und ruhig war es dort. Zu ruhig für meine Frau, die immer betont hatte, niemals in eine Einöde zu ziehen. Gegen eine Einladung zum Kaffee beim alten Kollegen hatte sie aber nichts einzuwenden, und so fuhren wir an einem sonnigen Nachmittag im Mai hinauf in die Berge nach Hümmel. Immer einsamer wurde es und die kleinen Dörfchen mit wenig mehr als 20 Häusern verstärkten den Eindruck noch. Einen Kilometer hinter Hümmel erreichten wir das Forsthaus, welches 50 Meter zurückgesetzt von der schmalen Landstraße lag. Alte Birken und Kiefern beschatteten das parkartige Anwesen, und als wir auf die Einfahrt einbogen, entfuhr es meiner Frau: »Das ist es, hier bleiben wir!«
    Wenige Wochen später, bei der Gemeinde hatten sich verschiedene Kandidaten um die Nachfolge beworben, erhielt ich den Zuschlag. Zwar waren meine Innendienstjahre noch nicht ganz abgeleistet, aber da drückte die Forstdirektion ein Auge zu. Und so beluden wir im Oktober 1991 den Möbelwagen und zogen ins alte Forsthaus. In den ersten Nächten konnte ich dort kaum schlafen. Das Rauschen des Windes in den alten Kiefern, die Dunkelheit beim Blick aus dem Schlafzimmerfenster, der Ruf eines einsamen Käuzchens – jedes Detail war aufregend. Dass so ein abgelegenes Haus überhaupt einen Wasser- und einen Stromanschluss hatte, war kaum zu glauben. Heute kommt mir das alles normal vor und
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