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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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Försterhut, natürlich auch in Grün, mit dem Landeswappen von Rheinland-Pfalz – so ausgestattet fühlten wir uns wichtig. Bei manchen Exkursionen war das Tragen der Dienst kleidung Pflicht und wir folgten dieser Anweisung gern.
    Nach einem Jahr Büffeln folgte die Zwischenprüfung, der ich mit gemischten Gefühlen entgegensah, da ich etwas faul gewesen war und kaum gelernt hatte. Mein Kumpel Wolfgang, ebenfalls nicht besonders fleißig, bekam auch langsam Bedenken, je näher der Termin rückte. Kurz entschlossen opferten wir ein Wochenende und blieben an der Fachhochschule, um noch einmal die Sammlungen durchzugehen. Hier standen Holzstücke der wich tigsten Baumarten fein säuberlich auf Tischen sortiert und an den Wänden hingen Geräte für Waldarbeiter. Daneben fanden sich Tierpräparate, die uns aus Glasaugen anstarrten, und, ganz besonders wichtig, die Insektensammlung. Hunderte von Käfern waren mit Nadeln auf Schaumstoffkissen gespießt und einzeln in Schächtelchen gesetzt. Daneben lag ein Stück Holz oder Rinde mit dem Fraßbild der Schädlinge. Ein Student, der sich und uns mit der Stofffülle, die er für das absolut zu beherrschende Minimum hielt, verrückt machte, schien so oft hier zu sein, dass wir uns fragten, ob er im Ausstellungsraum auch übernachtete. Als er uns hereinkommen sah, dozierte er gleich ungefragt über Borkenkäfer. Ein Name kam mir besonders bizarr und auch völlig unwichtig vor. »Das hier ist das typische Fraßbild des Fichtenrindenbastkäfers.« Ich konnte ein Kichern kaum unterdrücken und blickte zu Wolfgang, dem es ähnlich ging. Wir verdrehten die Augen und verließen die staubige Sammlung, um noch ein Eis essen zu gehen.
    Tags darauf fand die mündliche Prüfung im Fach Forstschutz statt, zu dem auch die Insektenkunde gehörte. Und was wurde mir vom Professor vorgelegt? Der Fichtenrindenbastkäfer. Volle Punktzahl! Dieser eine Name hat sich seither in mein Gedächtnis eingebrannt. Wichtiger aber war, ich bestand die Zwischenprüfung und durfte endlich wieder in den Wald!
    Im dritten Jahr mussten wir, jeder an einer anderen Dienststelle, beweisen, was wir gelernt hatten. Ich wurde einem Eifelforstamt zugewiesen, in dem die Uhren noch etwas langsam gingen. Es war von einem riesigen Waldgebiet in Staatsbesitz geprägt und hatte entgegen dem gesetzlichen Auftrag, sich schwerpunktmäßig um die Bäume zu kümmern, offensichtlich die Jagd als wichtigstes Betätigungsfeld. Hier wurden Hirsche und Muffelschafe in großer Zahl gehegt, was mir damals aber nicht seltsam vorkam, sondern aufregend. Für mich als kleines Licht gab es nur beschränkte Abschussmöglichkeiten. Struppige Rehe, die kurz vor dem Verhungern waren, gestand man dem forstlichen Nachwuchs zu. Die dicken Hirsche mit den ausladenden Geweihen waren für andere reserviert: Diese begehrten Tiere durften Beamte des Ministeriums, Jagdgäste aus der Wirtschaft oder der Forstamtsleiter erlegen. Normale Förster kamen in der Regel nur einmal bei solchen Trophäenträgern zum Zug, und zwar am Ende ihrer Dienstzeit. Dann erhielten sie die Freigabe für einen »Pensionshirsch«. Damals empfand ich diese Art des Wildmanagements als etwas völlig Logisches und den Jagdbetrieb selber als wichtigen Bestandteil meines künftigen Berufs.
    Ich selbst hatte kein Jagdglück. Nur einmal, während einer Treibjagd, wäre es fast passiert. Denn bei einer solchen Gelegenheit darf jeder Schütze, also auch Studenten, alles Wild aufs Korn nehmen, das die behördlichen Abschusspläne freigegeben haben.
    Schon von Weitem hörte ich die Hunde bellen, die in meine Richtung unterwegs waren. Da sie irgendetwas vor sich her zu treiben schienen, machte ich mich schussfertig. Es knackte im Unterholz und dann sah ich einen jungen Hirsch hervorbrechen. Mit kleinem Geweih zwar, aber für mich als Jungspund eigentlich eine Nummer zu groß. Etwa 100 Meter von mir entfernt stand der zuständige Revierleiter. Er war bekannt dafür, Hirsche zu füttern und zu schonen, bis sie eines Tages als mächtige Geweihträger geschossen wurden. Ihm musste das Herz bluten, dass sein geliebtes Rotwild so dezimiert werden sollte. Und ausgerechnet mir als einem der Rangniedrigsten lief so ein Tier vor die Büchse. Also ließ er den Hund, der bis dahin brav neben ihm gelegen hatte, blitzartig von der Leine. Und der Vierbeiner wusste genau, was er zu tun hatte. Aus den Augenwinkeln sah ich ihn spurten, geradezu fliegen, hinüber zu mir. Das Gewehr im Anschlag auf den Hirsch
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