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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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staatlichen Forstverwaltung, die den Gemeindewald Hümmel gegen eine Gebühr betreute. Mein Vorge setzter war demnach der Forstamtsleiter und nicht der Bür germeister. Die Gemeinde konnte allerdings bestimmen, was in ihrem Wald geschehen sollte. Da die Gemeindevertreter jedoch keine Ahnung von Forstwirtschaft hatten und stets vom staatlichen Personal beraten wurden, das auch die Kontrollen durchführte, konnte ein Förster letztendlich fast machen, was er wollte. Für die Veränderungen, die mir vorschwebten, brauchte ich aber starke Partner, also beherzte Eigentümervertreter, und das war die Gemeinde Hümmel in Person ihres Bürgermeisters Rudi Vitten.
    Drei Jahre nach der Revierübernahme bekam ich Kontakt zu Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW). Sie nahmen mich auf Exkursionen zu Betrieben mit, die sich ganz der ökologischen Wirtschaftsweise verschrieben hatten. Dort kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn die Forstbetriebe zeigten uns die reinsten Märchenwälder. Würdevolle alte Bäume beherrschten das Bild, darunter ihr Nachwuchs, beschützt durch das dichte Laubdach ihrer Eltern. In der dämmrigen Waldluft lag ein würziger Pilzgeruch und wir stapften über einen federnden Boden, dessen dicke Humusschicht man regelrecht fühlen konnte. Kahlschläge sah man keine und die Rückegassen hatten mindestens 40 Meter Abstand. Und die Förster! Sie sprachen von ihrem Wald, als seien sie verliebt. Ich hörte zum ersten Mal von einem Umgang mit Bäumen, der mein Herz ansprach. Diese Waldhüter wollten Rücksicht auf die natürlichen Abläufe nehmen und so wenig wie möglich eingreifen. Hier und da sah man einen alten, moosbewachsenen Stumpf, wo ein einzelner Baum gefällt worden war. An diesen Stellen drängte sich der Baumnachwuchs, der seine Chance auf mehr Licht ergriff und nach oben strebte.
    Ich erinnere mich an den Besuch eines kleinen Forstbetriebs im Voralpenland. Dort war gerade die Holzernte im Gange. Der Besitzer hatte an den halbwüchsigen Bäumen in der Nähe eines zu fällenden Stamms Stricke befestigt. Die jungen Bäume wurden dann mit den Seilen zur Seite gebogen und angepflockt. Erst jetzt durften die Waldarbeiter den großen Baum absägen, der nun zwischen seinen Nachwuchs fallen konnte, ohne ihn mit umzureißen. Anschließend wurde er in vier Meter lange Teilstücke gesägt, damit er beim Herausziehen besser um den Jungwuchs herum manövriert werden konnte. So viel Rücksichtnahme bei der Wald arbeit hatte ich noch nirgendwo gesehen, und wenn diese Wirtschaftsweise nicht auch finanziell sehr erfolgreich gewesen wäre, hätten die mitgereisten ANW-Mitglieder sie sicher belächelt. So aber war es ein rührendes Beispiel einer schonenden Arbeitsweise.
    Für mich waren diese Fortbildungsreisen eine Offenbarung. So hatte ich mir meinen Beruf vorgestellt, so wollte ich fortan arbeiten. Allerdings gab es da noch einen Haken – das Revier gehörte ja nicht mir, es war nicht mein Wald. Der größte Teil war im Besitz der Gemeinde Hümmel. Wollte ich künftig das Gelernte umsetzen, so musste ich erst den Gemeinderat und den Bürgermeister überzeugen. Also fragte ich Rudi, ob wir uns nicht alle gemeinsam einmal einen solchen Spitzenbetrieb ansehen wollten, um zu schauen, was wir bei uns verbessern könnten. Und so saßen wir wenige Monate später in einem Reisebus nach Franken. Es ging in den Wald des Freiherrn von Rotenhan, dessen Familie ihren Waldbesitz schon seit Generationen ökologisch pflegt. Der groß gewachsene Baron stapfte vor uns durch seinen Forst und gewann mit seiner mächtigen Stimme und seiner schnoddrigen Art unsere Herzen im Flug. Wertvolle alte Bäume standen ringsherum und er verkündete: »Wenn ich mit meiner Frau einmal für zwei Wochen nach New York fliegen will, dann verkaufe ich eben einen Stamm wie diesen.« Dabei tätschelte er eine Eiche. Meine Gemeinderäte wechselten Blicke, brachte doch ein Durchschnittsbaum aus Hümmel bestenfalls rund 50 Euro. Und Billigflüge gab es damals noch nicht, die Bemerkung kam unserer Truppe also märchenhaft vor. Um die Dimension des Baums zu erfassen, hielten sich drei Ratsmitglieder an den Händen und kamen so eben um den Stamm herum.
    Zehn Minuten später riss sich von Rotenhan die Schieberkappe vom Kopf und schleuderte sie mit den Worten »Egal wo ich meine Kappe hinwerfe, sie fällt immer auf junge Bäume« in die Botanik. Und davon konnten wir uns sofort überzeugen. Es stimmte, denn im Gegensatz zu
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