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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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das lag im Bereich des Möglichen.
    Für mich würde dies bedeuten, dass der Bürgermeister mein Chef werden und das Forstamt nur noch den Status einer Aufsichtsbehörde haben würde – weniger staatliche Einmischung ist rein rechtlich einfach nicht möglich. Was wir in Hümmel mit unserem Wald anstellten, bliebe im Rahmen der Gesetze unsere Sache – und das hieße natürlich eine kompromisslos ökologische Wirtschaftsweise. Sollte mein Traum doch noch wahr werden?
    Nach Rücksprache mit meiner Familie nahmen wir das Projekt in Angriff. Rudi und ich verließen uns blind aufeinander, was vor allem absolute Vertraulichkeit bedeutete. Wäre im Verlauf der Monate, die bis zur endgültigen Trennung vom Forstamt vergingen, auch nur eine Silbe vorzeitig bekannt geworden, so wären wir ge scheitert. Denn ich war überhaupt nicht befugt, solche Verhandlungen mit der Gemeinde ohne Rücksprache mit meinem damaligen Vorgesetzten, dem Forstamtsleiter, zu führen. Wie die Gesprä che mit ihm als Verhandlungspartner ausgegangen wären, möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Tatsächlich gelang es Rudi und dem Hümmeler Gemeinderat aber, absolute Verschwiegenheit zu wah ren und mit meiner Hilfe eine eigene Forstverwaltung aufzubauen.
    Dann kam der 30. September 2006. Beamte haben viele Privilegien, eines davon ist die kurze Kündigungsfrist. Ich hätte theoretisch meine Beamtenstelle von einem Tag auf den anderen zurückgeben können, kündigte aber immerhin mit einem Vorlauf von einigen Wochen. Der Vertrag mit der Gemeinde war da schon in trockenen Tüchern und ich erinnere mich noch genau an die entsprechende Sitzung. Die Papiere lagen auf dem Besprechungstisch, der Gemeinderat stimmte meiner Einstellung zu und ich durfte sofort unterschreiben. Danach kam ein kleiner symbolischer Akt, der mir sehr wichtig war. Ich trug meine Dienstkleidung, eine grüne Fleecejacke mit dem rheinland-pfälzischen Landeswappen. Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, da riss ich dieses Abzeichen herunter und befestigte an seiner Stelle das Wappen von Hümmel. Zwar dauerte es noch einige Tage bis zum offiziellen Kündigungstermin, aber das war mir jetzt egal: Ich fühlte mich frei!
    Und nun ging die Arbeit erst richtig los. Wir mussten beweisen, dass wir es ohne die Landesforstverwaltung, ohne ihren Verwaltungsapparat und die ganzen kostenlos zur Verfügung gestellten Dienstleistungen schaffen würden. Und wie wir es schafften! Die Einnahmen verbesserten sich, die Gewinne stiegen und die Strategie der ökologischen Bewirtschaftung konnte nun ohne Kompromisse weiterverfolgt werden. Was vernünftig schien, wurde umgesetzt, überflüssiger Ballast wurde abgeworfen. Unnütze Formulare gehörten der Vergangenheit an, hinderliche Verwaltungshierarchien gab es nicht mehr. Sollte etwas Neues eingeführt werden, so genügte eine kurze Rücksprache mit meinem Chef, dem Bürgermeister. War der Vorschlag plausibel, so konnte er Stunden später bereits umgesetzt werden, ansonsten wurde er verworfen oder neu durchdacht.
    Wenige Wochen nach dem Wechsel bereitete mir jedoch mein Körper massive Probleme. Schon seit Jahren hatte ich Rückenschmerzen, quälte ich mich mit einer Bandscheibenvorwölbung herum. Als hätte meine Wirbelsäule gewartet, bis alles in trockenen Tüchern war, nahmen die Beschwerden schlagartig zu. Eines Abends merkte ich, wie sich in meinem Inneren Unheil zusammenbraute. Zuvor hatte ich nach einem anstrengenden Arbeitstag noch unsere große Wiese mit der Motorsense gemäht, was wohl das Fass zum Überlaufen brachte. Ich dachte noch, dass eine ruhige Nacht schon alles wieder richten würde.
    Diesmal war es aber anders. Beim Aufwachen merkte ich, dass gar nichts mehr ging. Um auf die Toilette zu gelangen, brauchte ich zehn Minuten. Dazu musste ich mich aus dem Bett wälzen und auf den Boden fallen lassen, denn an eine Krümmung der Wirbelsäule war nicht mehr zu denken. Sofort schossen Schmerzen wie Pfeile durch Rücken, Gesäß und Beine und verboten kategorisch jedes Abweichen von der geraden Linie. Ich robbte zum WC und erlangte auf dem Weg dorthin immerhin so viel Geschmeidigkeit zurück, dass ich mich wenigstens setzen konnte. In fünf langen Minuten schaffte ich den Weg die Treppe hinunter aufs Wohnzimmersofa, dann war endgültig Schluss. Ein Rettungswagen brachte mich in die Klinik, wo ich mit Spritzen und Infusionen zunächst wieder alltagstaug lich gemacht wurde. Weitere drei Monate quälte ich mich mit verschiedensten
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