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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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unseren leer gefressenen Wäldern ohne Nachwuchs sprossen hier Hunderte von Sämlingen auf jedem Quadratmeter! Abends, bei knuspriger Schweinshaxe und Bamberger Rauchbier, wurde eifrig über das Gesehene diskutiert. Das Fazit war: »So etwas wollen wir auch!«
    Es folgte eine Zeit weiterer Reisen und Exkursionen für mich, denn ich hatte noch viel zu lernen. Anfangs eiferte ich den verehrten Vorbildern nach, später entwickelte ich eigene Ideen, die ich gemeinsam mit den Gemeindevertretern umsetzte. Und die Veränderungen waren umwälzend. Kahlschläge? Nein danke! Stattdessen wurden in den alten Laubwäldern nur noch vereinzelt Bäume gefällt, ab 2003 stellte die Gemeinde sie dann ganz unter Schutz. Nadelbäume? Wurden seither konsequent zurückgedrängt, indem immer dann, wenn in der Nachbarschaft ein Laubbaum wuchs, die Konifere entnommen wurde. Insektizide? Undenkbar! Und damit mir der Forstamtsleiter nicht per Dienstanweisung dazwischenfunken konnte, ließ die Gemeinde ihren Wald ökologisch zertifizieren. FSC nennt sich das Label, das seitdem auf unserem Holz prangt und das ökologisches, ökonomisches und sozial einwandfreies Wirtschaften garantiert.
    Die größte Hürde aber war die Jagd. Man kann nur dann umweltfreundlichen Waldbau betreiben, wenn der Baumnachwuchs überlebt und die Wildbestände halbwegs auf natürlichem Niveau sind. Das soziale Miteinander der Bäume, welches nach dem Prin zip extremer Langsamkeit abläuft, verträgt keinen übermäßigen Wildfraß. Die Sämlinge müssen schließlich jahrzehntelang in Höhen unter einem Meter verharren und ihr Gipfeltrieb kann dort schnell im Maul eines Rehs enden.
    Wir erhöhten also den Druck auf die Jagdpächter, endlich mehr zu schießen und weniger zu füttern. Dieser Druck erzeugte Ärger. Konnten die Jäger in unserem Landkreis bis dato ungestört ihrem Treiben nachgehen, so gab es nun eine Störung, denn um uns selbst abzusichern, machten wir unsere Strategie öffentlich. Nun war in den Zeitungen immer wieder zu lesen, wie viel Schaden Wildfütterungen und zu hohe Bestandsdichten von Rehen und Hirschen anrichten können. Auf Führungen ließen sich Gemeinderäte von Nachbarkommunen über die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen aufklären. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wurde in einer Sitzung beschlossen, einen Teil des Walds künftig von den eigenen Bürgern bejagen zu lassen. Bei den konventionellen Jägern wurde ich so zum Hassobjekt ersten Ranges, aber das war mir egal, denn der Wald konnte endlich aufatmen. Mein Revier wurde zum Exkursionsobjekt von Behörden und Naturschutzverbänden, und das nicht, weil hier alles in Ordnung gewesen wäre. Nein, allein die Tatsache, dass wir uns Mühe gaben, Fehler zu vermeiden und die Natur zu schonen, machte uns bereits interessant – allerdings weniger für Kollegen. Diese fühlten sich vielmehr massiv gestört, denn nun wurden etliche Waldbesitzer mit staatlicher Betreuung wach und fragten, warum es bei ihnen nichts Ähnliches zu vermelden gäbe. Entsprechende Bemerkungen bei Dienstbesprechungen, im Gespräch mit Kollegen und Mitarbeitern anderer ortsansässiger Behörden häuften sich. Ich bekam schließlich die Anweisung, nicht mehr öffentlich über die finanziellen Erfolge meiner Gemeinde zu sprechen, denn das sei unkollegial.
    Im Lauf der Zeit wurde der Druck auf mich immer stärker und ich konnte mir nicht mehr vorstellen, bis zu meiner Pensionierung 2031 weiterzukämpfen und ständig am Rand eines Disziplinarverfahrens zu stehen. Allmählich ging mir die Energie aus. Daher erwog ich, noch einmal den Job zu wechseln, möglicherweise in eine andere Branche zu gehen oder vielleicht sogar auszuwandern. Unser Urlaubsland Schweden hatte es uns besonders angetan und damals spielten wir ernsthaft mit dem Gedanken, die Koffer zu packen und ganz von vorn anzufangen.
    Auch mit Rudi, dem Bürgermeister, sprach ich ganz offen über diese Überlegungen, von denen er nicht begeistert war. Was sollte dann aus den begonnenen Projekten werden, wer die Nachfolge antreten? War es da nicht besser, die Gemeinde machte sich selbstständig, würde die Verträge mit der Landesforstverwaltung kündigen und einen eigenen Betrieb aufbauen? Ob ich mir vorstellen könnte, in diesem Betrieb als Angestellter der Gemeinde zu arbeiten? Und ob ich das konnte! Ein sicheres Beamtenver hältnis würde zwar nicht dabei herausspringen, denn das war der kleinen Kommune zu riskant. Aber ein angestellter Förster,
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