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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf
Autoren: Peter Wohlleben
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haben.

Ökologische Waldwirtschaft
    Müssen Waldnutzung und Waldzerstörung Hand in Hand gehen? Diese Frage kann niemand beantworten. Nach heutigem Stand des Wissens ist jedoch eine Kombination aus ökologisch bewirtschafteten Flächen und Schutzgebieten vertretbar, die das Ökosystem Wald erhalten oder erneuern kann.
    Nicht in jeder Packung, auf der öko steht, ist auch öko drin. Offiziell wirtschaften heute alle Forstbetriebe umweltfreundlich, denn die Bevölkerung beginnt, zu rebellieren. Regelmäßig erreichen mich Anfragen von Bürgerinitiativen, die sich gegen die örtlichen Förster zur Wehr setzen. Von Maschinen zerstörte Waldwege, starke Holznutzungen, bei denen die alten Bäume fast völlig verschwinden, der wieder aufkommende Nadelholzanbau: Die Bevölkerung ist heute so gut informiert, dass die Waldhüter nicht mehr widerspruchsfrei wirken können. Anstatt nun die Arbeitsweise umzustellen, wird einfach behauptet, die besonders schonenden Methoden ließen sich nur in wenigen Landschaften umsetzen. Wie oft musste ich schon hören, nur dort seien die klimatischen Bedingungen gegeben, ließe sich der Wald urwaldähnlich bewirtschaften. Damit Sie nachvollziehen können, wie sehr geschwindelt wird, möchte ich Sie zu den Wurzeln der ernsthaft umweltfreundlichen Forstwirtschaft entführen.
    Es gibt in Deutschland einen Zusammenschluss ökologisch wirtschaftender Förster, der eine lange Tradition hat. Im Jahr 1950 gründete sich die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft, kurz ANW genannt. In ihr fanden sich Forstleute zusammen, die schon lange gegen den Strom geschwommen waren. Sie wollten die natürlichen Prozesse eines Waldes so wenig wie möglich stören, wollten aus Beobachtung lernen und im eigenen Revier Schüler der Natur sein. Klar, dass Kahlschläge, Chemie und Nadelholzplantagen nicht infrage kamen.
    Die Schweiz und Österreich folgten deutlich später. Hier wurden erst unter dem Namen ANW, dann unter ProSilvaSchweiz bzw. Pro Silva Austria in den Jahren 1992 und 2000 ähnliche Organisationen gegründet. Dabei gab es im Alpenraum schon früher bekannte Pioniere der umweltfreundlichen Waldwirtschaft. So etwa Henri Biolley, der im Schweizer Jura im Gemeindewald von Couvet tätig war. Er wirtschaftete nach der Plentermethode, bei der alle Altersstadien eines Wirtschaftswalds auf kleinster Fläche erhalten bleiben. Er dokumentierte jeden Eingriff akribisch, vermaß alle lebenden Exemplare und wiederholte diese Inventuren regelmäßig im Abstand einiger Jahre. Dadurch konnte er sein Wirken besser kontrollieren und verstand, was seine Maßnahmen bewirkten. Für den Gemeindewald war dies ein Segen und glücklicherweise führten seine Nachfolger sein Werk fort. Heute steht in Couvet ein Vorzeigebestand. Mächtige alte Bäume, unter ihnen ihr Nachwuchs im Dämmerlicht, nur hier und da ein Baumstumpf, der von einer schonenden Holzernte zeugt: ein schönes Beispiel für die Harmonie von Mensch und Natur.
    Solche Pioniere hat es in jedem Land gegeben und selbst diese Vorväter der naturgemäßen Waldwirtschaft griffen auf das Wissen ihrer Vorfahren zurück. Oft waren dies einfache Bauern, die mit gesundem Menschenverstand schonend mit ihrem Eigentum umgingen. Wurde in diesen Wäldern Holz geerntet, sahen die Bestände hinterher nicht viel anders aus als zuvor. Das war den amtlichen Kontrolleuren unheimlich. Konnte es nicht sein, dass die Besitzer heimlich den Wald plünderten, mithin mehr Bäume fällten, als nachwuchsen? Daher wurde diese waldfreundliche Verfahrensweise, die Plenterung, im 19. Jahrhundert gesetzlich verboten. 61 Denn das Kästchenschema eines Kahlschlagbetriebs ließ sich viel besser überwachen. Wurde eine Parzelle abgeholzt, so musste sie wieder aufgeforstet werden. So eine Fläche ließ sich vermessen, da gab es keine Unklarheiten. Bis heute hält sich aus dieser Zeit die Lehrmeinung vieler Professoren und damit auch etlicher Förster, Plenterwald könne es nur im Alpenraum, dem Schwarzwald oder der Schwäbischen Alb geben, da er sonst kaum zu finden ist. Gewiss, dort finden sich besonders viele Beispiele solcher Baumbestände. Das hat aber nichts mit der Landschaftsform zu tun, sondern mit der Hartnäckigkeit der dortigen Landbevölkerung. Denn diese hat dort gegen die amtlichen Anordnungen weiter nach alter Väter Sitte gewirtschaftet. Heute sind die Parzellen dieser Rebellen forstliche Mekkas, zu denen busweise staunende Waldbesitzer gekarrt werden, um einmal mehr oder minder
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