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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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war gut eingespielt. Es gab keinen Augenblick des Stillstands. Die Frauen blickten nicht einmal in die Gesichter der Spender – dafür blieb keine Zeit.
    Klasse für Klasse spendete Blut, kehrte dann in Reih und Glied in ihr Klassenzimmer zurück und verteilte sich auf die Schulbänke. Dann wurden die Schüler verköstigt – vor jedem standen eine Blechtasse mit Tomatensaft und ein mit Creme gefüllter Kuchen.
    Banow trat auf den Korridor hinaus, um nachzusehen, wie die Sache voranging.
    Vor der Tür, hinter der die Spendebrigade arbeitete, stellte sich gerade die Klasse 6B auf.
    In der Schule herrschte Stille.
    „Fjodor Palytsch“, wandte sich eine Schwester an den Arzt, den Brigadeleiter. „Wir wissen nicht, ob es sich hier um die Blutgruppe A oder 0 handelt …“
    „Geben Sie es zur Gruppe 0!“, antwortete Fjodor Palytsch kurz, ohne von der Vene des jugendlichen Spenders hochzusehen, den er gerade vor sich hatte.
    Es war kurz vor Mittag. Der Schuldirektor blickte ungeduldig auf die Uhr. Er hatte bereits dreimal Tee getrunken. Er wollte diesen feierlichen Appell so rasch wie möglich abhalten und dann alle nach Hause entlassen.
    Wieder trat er auf den Korridor hinaus und erblickte beim Fenster einen kleinen Oktobristen, der weinte.
    Er ging hin und beugte sich zu ihm hinab.
    „Was hast du denn?“, fragte der Direktor und dämpfte dabei die Lautstärke seiner Stimme.
    „Sie nehmen mir kein Blut ab!“, heulte der Junge unter Tränen.
    Banow kauerte sich nieder und sah dem Oktobristen in die Augen.
    „Nicht weinen, du bist doch ein Mann!“, sagte der Schuldirektor. „Und warum nicht?“
    „Sie wollen nicht“, klagte der Junge.
    „Na komm, wir werden das klären!“ Banow stand auf, nahm den Jungen an der Hand und führte ihn in das Klassenzimmer, in dem die Spendebrigade arbeitete.
    Vor der Tür des Zimmers wartete die Klasse 1B .
    Entschlossen trat Banow ein, indem er den Oktobristen hinter sich herzog, der mit dem Schuldirektor kaum Schritt halten konnte.
    „Wie können Sie nur!“, wandte er sich mit aller Strenge an den hageren Brigadeleiter. „Warum nehmen Sie ihm kein Blut ab?“
    „Na, sehen Sie sich ihn einmal selbst an!“, stammelte Fjodor Palytsch. „Er ist doch ganz blau, also zyanotisch! Wie können wir ihm da auch noch Blut abnehmen?“
    „Sind Sie ein Kommunist?“, fragte Banow mit finsterem Blick.
    „Ich bin Arzt und Kommunist“, antwortete der Brigadeleiter.
    „Sagen Sie mir, was Sie in erster Linie sind, Arzt oder Kommunist? Was ist für Sie wichtiger?“
    Der Arzt kaute auf seiner Lippe herum. Nach einer Minute seufzte er und sagte:
    „Kommunist …“
    „Also, dann nehmen Sie ihm wenigstens hundert Gramm ab!“, entgegnete der Schuldirektor und seine Stimme klang schon sanfter, denn er fand keinen Gefallen daran, so grob zu sein.
    „Vera!“, drehte sich Fjodor Palytsch zu einer der Schwestern um. „Nehmen Sie ihm hundert Gramm in einen eigenen Behälter ab!“
    „Geh zu Tante Vera!“, beugte sich Banow zu dem Jungen hinab, der bereits zu weinen aufgehört hatte. „Geh nur, sie nimmt dir Blut ab!“
    Nachdem er in sein Zimmer zurückgekehrt war, sah er wieder auf die Uhr.
    Fünfzehn Minuten nach eins.
    Nur noch zwei erste Klassen, dann konnte er den Appell abhalten. Er musste jedoch auch den letzten noch zehn Minuten Zeit lassen für ihre Feiertagsjause.
    Der zuvor noch in Tränen aufgelöste Oktobrist verließ nun die Spendebrigade mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesichtchen, während er sich die rechte Armbeuge hielt. Er ging wieder zum Fenster, blickte zum Himmel und musste gleich darauf die Augen zusammenkneifen, da ganz unerwartet ein Sonnenstrahl durch die Wolken gedrungen war.
    Bald war die Blutabnahme beendet. Die Spendebrigade packte die Nadeln gemeinsam mit den anderen Instrumenten ein. Fjodor Palytsch verschloss mit desinfizierten Gummipfropfen die großen Behälter, die das gespendete Blut enthielten, da bemerkte er plötzlich ein Gefäß auf dem Tisch, das nur zur Hälfte mit Blut gefüllt war.
    „Welche Blutgruppe?“, fragte er die Schwestern. „Wer hat vergessen, das dazuzuleeren?“
    „Das ist von dem Zyanotiker!“, antwortete Vera. „Sie haben doch selbst gesagt, in einen eigenen Behälter.“
    „Aha!“, nickte Fjodor Palytsch, ergriff das Gefäß und leerte das Blut in einen Blumentopf mit einer Aloe, der auf dem Fensterbrett stand.
    Eine der Schwestern holte ein Wurstbrot aus ihrer Tasche, nachdem sie ihren Kittel ausgezogen
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