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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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Verschwiegenheitserklärung abgeben müssen.“
    „Da siehst du mal“, sagte Banow ernst. „Bei mir gibt es überhaupt keine Geheimnisse, musst du wissen, in der Schule geht es nur um Kinder und Lehrer, kurz gesagt um den Lehrbetrieb. Es ist oft entsetzlich langweilig. Oft sehne ich mich zurück auf den Glockenturm und …“
    „Ja“, nickte Karpowitsch. „Das passiert mir auch … Da kehrt man so vor sich hin, und plötzlich kommt es einem einen Moment lang so vor, als hätte man keinen Besen in der Hand, sondern ein Gewehr …“
    Karpowitsch seufzte und blickte auf den Teekessel. Dann sagte er:
    „Das Wasser kocht!“
    „Bist du verheiratet?“, fragte Banow.
    „Nein. Das hat auch nicht geklappt … Als ich im Krieg war, hatte ich eine Frau … Und du?“
    „Ich auch nicht“, antwortete der Schuldirektor nach einer kurzen Pause.
    „Weißt du was“, senkte Karpowitsch plötzlich die Stimme. „Ich werde dir als altem Kampfgenossen ein Geheimnis erzählen …“
    Banow fühlte sich unbehaglich. Er bekam Angst um Karpowitsch, schließlich hatte dieser eine Erklärung abgegeben, und nun wollte er dagegen verstoßen. Allerdings weckte das Geheimnis, worum auch immer es gehen mochte, Banows Neugier. Er hatte die Langweiligkeit des Lebens satt.
    „Naja, weißt du … er lebt!“ Karpowitsch flüsterte nun leise.
    „Wer?“
    „Na er, du weißt schon: Er lebte, er lebt, er wird leben … na der Kremlträumer … so nennt man ihn dort unten!“
    „Unten?“ Banow bohrte nachdenklich in seinem Ohr, dann blickte er Karpowitsch fragend an. „Wo unten?“
    Karpowitsch seufzte tief. Es war offensichtlich, dass er nicht vorgehabt hatte, mehr preiszugeben, als er bereits getan hatte, aber er beschloss, seinem verständnislosen Kampfgenossen entgegenzukommen, und flüsterte:
    „Unter dem Kreml …“
    „Lass uns Tee trinken, er hat bereits gekocht …“, stammelte der verblüffte Banow.
    Nach alter Gewohnheit blies Karpowitsch vor jedem Schluck lange auf den Tee. Er nahm immer zwei Stück Zucker auf einmal und schluckte sie, wie Banow schien, ohne zu kauen.
    Banow machte sich die Stille zunutze, um über das Geheimnis nachzudenken, das er soeben erfahren hatte. Kann es denn stimmen, dass er wirklich lebt?, dachte er. Aber wenn es stimmt, warum wird es dann vor allen geheim gehalten? Warum versteckt man ihn? Nein, irgendetwas stimmte hier nicht, und wie die Wahrheit hörte sich das nicht an …
    Offenbar hatte Karpowitsch den Zweifel in Banows Gesicht bemerkt und sagte deshalb nach dem nächsten Schluck:
    „Glaubst du mir etwa nicht?“
    Banow schwieg.
    „Ich habe ihn schon einige Male mit meinen eigenen Augen gesehen, so wie dich jetzt. Wenn der Bote beschäftigt oder krank ist, dann bringe ich an seiner Stelle die Post, die Briefe und Pakete …“
    „Und wer schreibt ihm?“, wunderte sich Banow. „Es wissen doch alle, dass er gestorben ist!“
    „Nicht alle“, erklärte Karpowitsch entschlossen. „Die Bauern schreiben, die Kinder, die Arbeiter … Sie schicken sogar Pakete … Weißt du, er liebt es so sehr, Briefe und Pakete zu bekommen …“
    „Und was macht er dort? Sitzt er hinter Schloss und Riegel, damit ihn niemand sieht?“
    „Wieso hinter Schloss und Riegel?! Er ist immer im Grünen, auf der Wiese … Er sitzt und träumt …“
    „Im Grünen … im Kreml?“ Banow riss die Augen auf, bis sie so groß wie silberne Fünfzig-Kopeken-Stücke waren.
    „Im unteren Bereich des Kreml, auf den unteren Kremlwiesen … natürlich kennst du das nicht …“ Da fiel Karpowitsch plötzlich ein, dass er möglicherweise zu viel erzählt hatte. „Erzähl nur ja niemandem davon, sonst geht es mit uns ab nach Sibirien …“
    Banow nickte.
    „Ich muss jetzt gehen“, sagte Karpowitsch nervös.
    „Komm bald wieder! Du musst mich unbedingt wieder besuchen!“, bat Banow. „Abends bin ich hier ganz allein. Wir klettern auf das Dach und dann sitzen wir dort ein wenig, wir haben hier ein gutes Schrägdach …“
    „Mhm“, brummte Karpowitsch. „Schreib für alle Fälle meine Telefonnummer auf, vielleicht brauchst du einmal Hilfe.“
    In der Schule war es still. Draußen wurde es dunkel, oder vielleicht waren auch nur Wolken aufgezogen.
    Banow schritt den Korridor im ersten Stock entlang – alles war, wie es sein sollte: Schriftbänder, Porträts, Blumentöpfe auf den weißen Fensterbänken.
    Er stieg in den zweiten Stock hinauf – dasselbe Bild. Alles sah wunderbar aus.
    Auch der dritte Stock war
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