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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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sah.
    „Ich kann nichts sehen“, antwortete der ärgerlich.
    Und da hörte man von dort aus der Mitte des Menschenkreises ein Stöhnen.
    „Oh Gott!“, flüsterte eine Bäuerin, die in der Nähe stand. „Hoffentlich muss sie sich nicht zu sehr quälen …“
    „Stirbt jemand?“, fragte der Engel.
    „Nein“, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. „Die Frau vom Buckligen kriegt ihr Kind …“
    „Da schau mal einer an!“, lächelte der hinkende Rotarmist verschmitzt, als er hörte, was dort vor sich ging, und er begann, sich nach vorne zu drängen.
    Der Engel folgte ihm nach und wie durch ein Wunder schaffte er es, bis in die erste Reihe zu gelangen, wo die Siedler des Neuen Gelobten Landes in einem dichten Menschenring um die Bank herum standen, auf der die allen bekannte junge Frau mit dem rundlichen Gesicht lag. Sie lag auf dem Rücken und hielt ihren Bauch mit den Händen fest, so als hätte sie Angst, dass es ihn gleich zerreißen würde.
    Neben der Bank machten sich zwei Frauen zu schaffen, aber was sie genau taten, war schwer zu begreifen. Eine der beiden legte ein graues Leintuch auf der Bank unter den Beinen der Gebärenden bereit.
    Die Gebärende zuckte zusammen, packte ihren Bauch noch fester mit ihren Händen und stöhnte so laut auf, dass der Kreis von Menschen für einen Augenblick erschrocken einen Schritt zurückwich.
    Der Engel entdeckte den Buckligen, der beim Ofen stand.
    Inzwischen stöhnte die Gebärende noch lauter, und beide Frauen eilten zum Kopfende, beugten sich über sie, flüsterten ihr etwas zu, nahmen dann ihre Hände und pressten ihre Handflächen auf ihren Bauch.
    „Pressen, pressen!“, sagte eine der beiden.
    Die Gebärende versuchte es, sank aber gleich wieder mit einem Schrei auf die Bank zurück.
    Da begannen die Frauen, mit den Händen den Bauch zu bearbeiten, wobei sie hin und wieder die mit weit aufgerissenen Augen an die Decke starrende Gebärende ansahen.
    Der Engel fühlte plötzlich, wie ihm die Knie zu zitterten begannen, und er wandte seinen Blick von der Bank ab. Ihm wurde ganz schwindlig. Als er die Menschen betrachtete, die um die Bank herum standen, entdeckte er darunter auch Archipka-Stepan. All diese Menschen sahen so feierlich und stolz aus, dass auch der Engel von diesem ihm unbekannten Gefühl erfasst wurde. Er erstarrte und vergaß auf das Zittern in seinen Knien.
    Da schrie die Gebärende auf. Wieder pressten die Frauen die Hände auf den Bauch und in diesem Augenblick rutschte ein kleines, runzliges, rotes Etwas aus dem Schoß der Gebärenden auf das graue Leintuch, und die rundherum versammelten Siedler drängten sich näher heran, um sich über das Neugeborene zu beugen und es zu betrachten.
    „Wo ist das Messer?“, fragte eine der beiden Hebammen mit dünner Stimme. „Die Nabelschnur muss durchgeschnitten werden … Wir brauchen ein Messer!“
    Aber niemand hörte sie. Die Menschen starrten unverwandt auf die Bank.
    „Wo ist das Messer?“, rief die Frau bereits weinerlich.
    Der Engel begriff, worum es ging, drängte sich durch die dichte Menge der Siedler und rannte zum Tisch hinter dem Ofen, aber dort fand er kein Messer. Er lief an den Bänken entlang, aber auch dort gab es kein Messer, und so rannte er aus dem Stall hinaus und stürzte so schnell er konnte zur Winterküche, die vor kurzem fertiggestellt worden war.
    Er ergriff ein großes Handbeil, das am Tisch lag, und lief zurück. Er drängte sich zur Bank durch, wobei er die immer noch wie versteinert dastehenden Menschen aufschreckte, und reichte der Frau das Beil.
    „Wir brauchen es nicht mehr …“, winkte sie ab und deutete auf den Buckligen, der am Rand der Bank saß und mit einem Finger in seinen Zähnen herumstocherte.
    Der Engel blickte den Buchhalter erstaunt an.
    „Ich hab sie einfach durchgebissen, sie braucht sich doch nicht zu quälen …“, sagte dieser, ohne den dicken Zeigefinger aus dem Mund zu nehmen.
    So trat der Engel mit dem Beil in der Hand wieder zurück in die Menge und stellte sich in die erste Reihe.
    Inzwischen sagten die Frauen dem Neugeborenen die Zukunft voraus, banden die Nabelschnur zu einem Knoten und beugten sich immer wieder hinunter zu einem Eimer mit Wasser, um ihre Hände darin zu waschen.
    Der Engel seufzte und wandte die Augen ab. Da entdeckte er Katja. Auch die Lehrerin hatte ihren Blick auf den Säugling geheftet. Aber offenbar spürte sie den Blick des Engels auf sich und wandte sich um. Erschrocken sah sie den Engel an, errötete und trat
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