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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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und „Ah!“ den Hügel hinab. Die Lehrerin Katja sauste tatsächlich als Erste auf ihrem Schlitten hinunter und lachte unter ausgelassenem Rufen.
    Die Zimmermänner unter den Bauarbeitern hatten viele Schlitten gezimmert, ungefähr zwanzig Stück, aber natürlich nicht genug für alle. Die Siedler warteten geduldig am höchsten Punkt des Hügels, bis sie an der Reihe waren, um durch den Schnee zu gleiten.
    Auch der Engel wartete, bis er drankam, und zum ersten Mal in seinem Leben rutschte er den von Kufen glattgefahrenen Hang hinunter.
    Plötzlich erklang in der frostigen Luft das bekannte Signal und alle sahen zum Hauptstall hinüber. Dort stand die Köchin Klawa und hielt den schweren Hammer in der Hand:
    „Das Frühstück wird kalt!“, rief sie, als der Klang der Eisenschiene verstummt war.
    Im Hauptstall wurden alle drei Öfen geheizt. Es war warm, aber düster, denn die Petroleumlampen beleuchteten mehr sich selbst als die gedeckten Holztische, die in der Mitte standen.
    Jeder setzte sich mit seiner Tonschüssel zu Tisch. Es wurde heißer Hirsebrei ausgegeben. Das Eingangstor öffnete sich und im Stall verbreitete sich ein angenehmer Duft nach geräuchertem Fleisch. Sachar und zwei Rotarmisten brachten ein im Ganzen geräuchertes Schwein herein, das sie auf eine Bank legten und sogleich zu zerteilen begannen. Die abgeschnittenen Stücke verteilten sie an den Tischen.
    Der Engel saß neben Archipka-Stepan und dem Buckligen.
    Archipka-Stepan schien bedrückt. Er saß unbeweglich da und starrte in seine Schüssel voll Brei.
    „He, Buchhalter“, drehte sich einer der Rotarmisten zum Buckligen um. „Deine wird bald ihr Kind bekommen, oder?“
    „Mhm“, bestätigte der Bucklige, während er sein Fleisch kaute.
    „Meine auch“, sagte der Rotarmist und strahlte über das ganze Gesicht.
    Der Engel seufzte tief.
    Archipka-Stepan schaute ihn durchdringend an und blickte dann wieder auf seinen Brei hinunter.
    Nach dem Frühstück zerstreuten sich die Siedler in verschiedene Richtungen. Der größte Teil von ihnen ging wieder auf den verschneiten Hof hinaus.
    So vollzog sich also der erste Wintereinbruch im Neuen Gelobten Land, aber niemand fürchtete den bevorstehenden Frost und die Kälte. Speicher und Keller waren bereits voll mit Vorräten. Im Herbst, als der Fluss noch nicht zugefroren war, hatten sie in der Nähe des Räucherofens eine Blockhütte aufgestellt. Sachar lebte und arbeitete nun dort und räucherte Fleisch, Fisch und Geflügel für alle, die ihn darum baten. Auch die Bauern aus der nahen Kolchose kamen zu ihm, und von drei für sie geräucherten Hühnern überließen sie eines dem Räuchermeister, ebenso wie sie von jedem Ferkel für Sachar eine Keule abschnitten. Auf diese Weise vermehrten sich rasch die Fleischvorräte im Neuen Gelobten Land, da der Räuchermeister alles Erhaltene der Gemeinschaft zur Verfügung stellte, selbstverständlich abzüglich jenes Anteils, mit dem er den eigenen Hunger stillte. Oft klopften auch trinkfreudige Siedler an seine Tür, gewöhnlich in Begleitung des Brigadiers. Sie hatten das verständliche Verlangen nach einigen Happen dazu, und aus Dankbarkeit füllten sie bereitwillig auch Sachars Krug ein- oder zweimal mit Selbstgebranntem. Sachar trank diesen zwar nicht, nahm ihn aber an und füllte ihn in eine große Flasche, die er unter seiner Bank für alle Fälle aufbewahrte.
    Wieder knirschte der Schnee unter den Füßen des Engels – er ging hinunter zum Feld. Er verspürte das Bedürfnis nach Rückzug, um aus der Ferne auf die Siedlung am Hügel zu blicken, deren Bewohner er nun war. Er wollte mit sich allein sein und über die Menschen nachdenken, bei denen er jetzt lebte. Mit jedem Atemzug, den der Engel in der frostigen Luft machte, erfüllte er seinen Körper und seine Gedanken mit frischem Mut.
    Da ertönte plötzlich ein dumpfes Signal oben über dem Feld, und der Engel drehte sich um und sah, wie die Schlittenfahrer hinauf zum Hauptstall eilten. Der Engel befürchtete, dass ein Unglück geschehen war, und rannte ebenfalls los.
    Der Schnee knirschte und die eisige Luft schmerzte auf seinen Wangen.
    Als der Engel beim Stall angelangt war, stürzte er durch die offene Tür und blieb dort stehen, rot im Gesicht und ganz atemlos.
    Vor ihm stand eine Menschenmenge im Kreis um den Ofen herum. Der Engel trat näher heran.
    „Was gibt es denn dort?“, fragte er einen hinkenden Rotarmisten, der angestrengt über die Köpfe der anderen hinweg nach vorn
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