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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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entsetzt den Kopf. Dafür,
daß er der Held des Abends war, erschien er mir merkwürdig gleichgültig. Er
beschränkte sich darauf, mir auf Schritt und Tritt zu folgen, weigerte sich
trotz meiner Aufforderung, sich seinen Gästen zu widmen, und ich begann gewisse
Blicke, gewisse Überlegungen zu spüren, die mich dazu trieben, meinen Aufbruch
zu beschleunigen. Ich machte mir einen Augenblick zunutze, in dem irgend jemand
Lewis mit Beschlag belegte, nahm Paul am Arm und flüsterte ihm zu, daß ich müde
sei.
    Wir hatten beschlossen, bei mir zu
wohnen, fürs erste jedenfalls, denn Pauls Wohnung lag in der Stadtmitte, und
ich fühle mich nur auf dem Lande wohl. Es ging auf drei Uhr morgens zu, und wir
zogen uns diskret zu unserem Wagen zurück. Ich betrachtete das riesige, hell
erleuchtete Haus, die Lichtreflexe im großen Swimmingpool, die Silhouetten der
Menschen an den Fenstern, und sagte mir, daß wir vor kaum einem Jahr dieselbe
Straße entlanggefahren waren, als plötzlich ein junger Mann vor der Kühlerhaube
aufgetaucht war. Was für ein Jahr! ... Aber schließlich endete alles gut, außer
natürlich für Frank, Louella, Bolton und Macley.
    Paul wendete vorsichtig zwischen zwei
Rolls — diese waren allerdings neu — und fuhr langsam los. Und wie vor einem
Jahr warf sich im Licht des Scheinwerfers ein junger Mann mit ausgebreiteten
Armen dem Wagen entgegen. Ich stieß einen überraschten Schrei aus, Lewis
stürzte an meine Seite, riß die Tür auf und ergriff meine Hände. Er zitterte
wie ein Blatt.
    »Nehmen Sie mich mit nach Hause«, sagte
er abgehackt. »Nehmen Sie mich mit, Dorothy, ich will nicht hierbleiben.«
    Er legte den Kopf auf meine Schulter,
hob ihn wieder und holte tief Atem wie jemand, der einen Schlag erhalten hat.
    Ich stotterte:
    »Aber hören Sie, Lewis. Ihr Zuhause ist
jetzt hier, und alle diese Leute warten auf Sie...«
    »Ich will nach Hause«, sagte er.
    Ich warf Paul einen Blick zu. Er lachte
leise. Ich machte einen letzten Versuch:
    »Denken Sie an den armen Jay, der sich
soviel Mühe gegeben hat... Er wird wütend sein, wenn Sie einfach so
verschwinden.«
    »Ach der, den bringe ich um«, sagte
Lewis, und ich zuckte zusammen.
    Ich rückte zur Seite, und Lewis ließ
sich neben mir auf den Sitz fallen. Paul fuhr los, und wieder einmal waren wir
alle drei auf der Straße. Ich war völlig verwirrt. Nichtsdestoweniger hielt ich
Lewis eine kleine Moralpredigt. Ich erklärte ihm, daß es diese Nacht noch
einmal angehe, weil er nervös sei, daß er aber in zwei oder drei Tagen nach
Hause zurückkehren müsse, daß es die Leute nicht verstehen würden, wenn er
dieses wundervolle Haus nicht bewohnte, etc.
    »Ich könnte bei Ihnen wohnen, und zum
Baden würden wir alle dorthin fahren«, sagte er mit ganz vernünftig klingender
Stimme.
    Dann schlief er an meiner Schulter ein.
Wir trugen ihn praktisch aus dem Wagen und hinauf in sein altes kleines Zimmer
und legten ihn ins Bett. Er öffnete ein wenig die Augen, sah mich an, lächelte
und schlief mit glückseliger Miene wieder ein.
    Wir gingen in unser Zimmer, Paul und
ich, und ich begann mich auszuziehen.
    »Glaubst du, wir werden ihn lange hier
haben?« fragte ich Paul.
    »Fürs Leben«, sagte er beiläufig. »Das
weißt du doch.«
    Er lächelte. Ich protestierte schwach,
aber er unterbrach mich.
    »Bist du nicht glücklich so?«
    »Doch«, sagte ich. »Sehr.«
    Es war wahr. Gewiß, ich würde einige
Mühe haben, Lewis daran zu hindern, ab und zu jemanden umzubringen, aber mit
ein bißchen Überwachung und Glück... »Man wird ja sehen«. Diese verfluchte
Phrase beruhigte mich wie immer, und ich ging singend ins Badezimmer.

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