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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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edler Gefühle, das mich auf die angenehmste Weise von
den Morden und meiner ganzen Umgebung ablenkte.
    »Paul wird wütend sein«, sagte Lewis.
»Er wollte doch übers Wochenende mit Ihnen nach Las Vegas fahren.«
    »Ich werde eben ein andermal mein
ganzes Geld verspielen«, sagte ich. »Im übrigen muß ich dieses Buch zu Ende
lesen. Und Sie? Was werden Sie machen?«
    »Musik«, erwiderte er. »Dann koche ich
für Sie, und dann spielen wir zusammen Romme, ja?«
    Er war sichtlich außer sich vor Freude.
Ich war ihm den ganzen Tag ausgeliefert, und er frohlockte wohl schon seit dem
frühen Morgen.
    Ich lächelte ihm unwillkürlich zu.
    »Machen Sie erst einmal ein bißchen
Musik, während ich lese. Ich nehme an, Fernsehen und Rundfunk funktionieren
auch nicht.«
    Ich vergaß zu sagen, daß Lewis oft
Gitarre spielte, langsame, melancholische, sehr seltsame Melodien, die er
selbst komponierte. Ich vergaß es, weil ich keine Musikliebhaberin bin. Er nahm
also seine Gitarre und schlug die ersten Akkorde an. Draußen bließ der Sturm,
ich trank meinen heißen Kaffee in Gesellschaft meines Lieblingsmörders, ich
schnurrte wie eine Katze. Es ist schrecklich, so leicht glücklich sein zu
können. Das Glück ist aufdringlich. Man kann ihm ebensowenig entrinnen wie der
Neurasthenie. Man steckt mitten in den ärgsten Scherereien, schlägt sich
verzweifelt herum, ist von einem Gedanken besessen, und mit einemmal trifft
einen das Glück an der Stirn wie ein Kieselstein oder ein Sonnenstrahl, und man
sinkt erleichtert zurück und genießt das Dasein.
    So verging der Tag. Lewis nahm mir beim
Romme fünfzehn Dollar ab, ließ mich Gott sei Dank selbst kochen, spielte
Gitarre, und ich las. Ich langweilte mich keineswegs mit ihm. Er hatte die
Leichtigkeit einer Katze, während der stämmigere, breitschultigere Paul mir oft
ein wenig lästig wurde: Ich wagte nicht, mir vorzustellen, wie dieser Tag unter
denselben Umständen mit Paul verlaufen wäre: Er hätte das Telefon in Ordnung
bringen wollen, den Rolls festmachen, die Fensterläden sichern, mein Drehbuch
mit mir fertig schreiben, über die Leute reden, mich lieben, was weiß ich, was
noch alles... Taten vollbringen. Handeln. Lewis dagegen war das alles
gleichgültig. Das Haus konnte sich von seinen Fundamenten lösen, davontreiben
wie eine Arche Noah — er saß träge da, glücklich mit seiner Gitarre. la, wenn
ich heute daran denke: es war ein sehr geruhsamer Tag inmitten dieses Taifuns
namens Anna.
    Am Abend verdoppelten die Elemente ihre
wilden Streiche. Die Fensterläden flogen nacheinander im Wind davon wie Vögel,
nicht ohne ein unheimliches Klappern. Draußen sah man buchstäblich nichts. Ich
konnte mich nicht erinnern, in diesem Lande je etwas Ähnliches erlebt zu haben.
Von Zeit zu Zeit schlug der Rolls gegen die Tür oder die Mauer wie ein großer
Hund, der wütend war, weil man ihn draußen gelassen hatte. Ich bekam es mit der
Angst. Ich fand, daß Gott in seiner unendlichen Güte seine bescheidene Dienerin
seit einiger Zeit ein wenig gar zu hart prüfte. Lewis war natürlich begeistert.
Er amüsierte sich sichtlich über meine ängstliche Miene und spielte den starken
Mann. Ein wenig gereizt zog ich mich früh zurück, nahm — nachdem ich mein
Lebtag lang alle Medikamente gemieden hatte — die Schlaftabletten, die mir nun
schon zur Gewohnheit wurden, und versuchte einzuschlafen. Vergebens. Der Wind
heulte wie eine mit Wölfen vollgestopfte Lokomotive, das Haus krachte in allen
Fugen, und gegen Mitternacht brach es auseinander. Das Dach flog buchstäblich
über meinem Kopf davon und ein Wasserschwall stürzte auf mich nieder.
    Ich schrie auf und begrub meinen Kopf
mit einer unsinnigen Reflexbewegung in den klatschnassen Bettlaken, dann rannte
ich aus dem Zimmer und fiel Lewis in die Arme. Es war stockfinstere Nacht. Er
zog mich an sich, und tastend gingen wir in sein Zimmer, wo die Decke wie durch
ein Wunder gehalten hatte. (Das Haus war durch eine wilde Sturmbö zur Hälfte enthauptet
worden, und natürlich hatte ich den Wasserschwall abbekommen.) Lewis riß
eine Decke von seinem Bett und rieb mich ab wie einen alten Gaul. Er sprach
auch in dem Ton zu mir, den man diesen Vierbeinern gegenüber anwendet, wenn sie
Angst haben: »Nun, nun, schon gut, es ist ja nichts, das geht vorbei...« Dann
ging er, sein Feuerzeug als Lampe benutzend, in die Küche hinunter, um die
Scotchflasche zu holen, und kam naß bis zu den Knien zurück.
    »Die Küche steht voll
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