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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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bescheiden.
    »Vier... ich sehe da keinen
Unterschied, und um acht Uhr morgens weckt mich ein Polizist... Und Sie finden
es unvernünftig, daß ich Angst habe... Das ist die Höhe!«
    »Aber es kann doch nichts passieren«,
sagte er unbekümmert. »Sie haben es selbst gesehen.«
    »Außerdem«, sagte ich, »außerdem... was
sind Sie eigentlich für ein Musterknabe gewesen? Ein guter Student, ein guter
Angestellter, ein guter was weiß ich noch alles? ... Wie komme ich mir vor? Wie
Mata Hari?«
    Er lachte auf. »Ich habe es Ihnen ja
erklärt, Dorothy. Bevor ich Sie kennenlernte, hatte ich nichts. Ich war allein.
Jetzt, wo ich etwas für mich selbst habe, verteidige ich es. Das ist alles.«
    »Aber Sie haben doch gar nichts für
sich selbst«, sagte ich wütend. »Ich gehöre nicht Ihnen. Ich wüßte nicht, daß
ich Ihre Geliebte wäre. Und Sie wissen ganz genau, daß ich die Absicht habe,
Paul Brett zu heiraten, sofern man uns nicht kurzerhand aufhängt oder auf dem
elektrischen Stuhl röstet.«
    Er stand auf und drehte mir den Rücken
zu.
    »Sie meinen, ich kann nicht mehr bei
Ihnen wohnen, wenn Sie Paul heiraten?« fragte er, und seine Stimme kam von weit
her.
    »Ich glaube allerdings nicht, daß Paul
einverstanden wäre«, begann ich. »Er hat Sie natürlich sehr gern, aber...«
    Ich schwieg plötzlich. Er hatte sich
umgedreht und betrachtete mich mit diesem furchterregenden Gesicht, das ich nun
schon so gut kannte, mit diesem Gesicht eines Blinden. Ich rief schrill:
    »Nein, Lewis, nein! Wenn Sie Paul
anrühren, will ich Sie nie wieder sehen. Nie wieder. Ich werde Sie hassen.
Zwischen Ihnen und mir wird alles aus sein. Alles.«
    Was wird aus sein? fragte ich mich. Er
strich sich mit der Hand über die Stirn, kam wieder zu sich.
    »Ich werde Paul nichts tun«, sagte er.
»Aber ich will Sie mein Leben lang sehen dürfen.«
    Er stieg langsam die Treppe hinauf wie
jemand, der einen Tiefschlag erhalten hat, und ich ging aus dem Zimmer. Die
Sonne erhellte fröhlich meinen alten Garten, den Rolls, der wieder seine
Statuenrolle übernommen hatte, die Hügel weiter drüben, die ganz kleine Welt,
die mein Leben lang so friedlich und heiter gewesen war. Ich vergoß noch ein
paar Tränen wegen meines zerstörten Lebens und ging schluchzend ins Haus
zurück. Ich mußte mich umziehen. Dieser Leutnant Pearson war, wenn ich mir’s
recht überlegte, ein sehr schöner Mann.
     
     
     

FÜNFZEHNTES KAPITEL
     
    Am übernächsten Tag, nach einem
ununterbrochenen Alptraum, in dem ich ein Aspirin nach dem anderen schluckte
und sogar zum erstenmal in meinem Leben ein Beruhigungsmittel versuchte, das
mich, nebenbei bemerkt, moralisch völlig niederschmetterte und mir den
Selbstmord als angenehme Lösung für meine Probleme erscheinen ließ, am
übernächsten Tag also brach der Sturm los. Genauer gesagt: Ein Taifun, den man
(mit der hierzulande üblichen Manie, Katastrophen hübsche Namen zu geben) Anna
nannte, erreichte unsere Küste. Ich wurde im Morgengrauen durch das Schwanken
meines Bettes und das Tosen des Wassers geweckt und empfand eine Art bitterer
Erleichterung. Die Elemente mischten sich ins Spiel, Macbeth war nicht mehr
weit, das Ende nahte. Ich trat ans Fenster, sah auf der in einen Fluß verwandelten
Straße ein paar leere Autos vorbeitreiben, denen verschiedene Trümmer folgten,
und ging dann auf die andere Seite des Hauses, wo ich den Rolls im Garten
schwimmen sah wie ein Fischerboot. Die Veranda ragte gerade noch aus dem Wasser
heraus, einen halben Meter etwa. Ich beglückwünschte mich wieder einmal dazu,
daß ich meinen Garten nicht liebevoll gepflegt hatte. Es wäre nichts
übriggeblieben.
    Ich ging hinunter. Lewis stand
hingerissen am Fenster. Er beeilte sich, mir Kaffee einzuschenken, mit den flehenden
Augen, die er seit der Ermordung Bill Macleys hatte — Kinderaugen, die um
Vergebung für einen häßlichen Streich baten. Ich nahm sofort eine hochmütige
Haltung ein.
    »Unmöglich, heute ins Studio zu
fahren«, sagte er fröhlich. »Alle Straßen sind blockiert, und das Telefon ist
außer Betrieb.«
    »Wie reizend«, sagte ich.
    »Zum Glück habe ich gestern bei Tojy
zwei Steaks und Kuchen gekauft, den mit kandierten Früchten, den Sie so gern
essen.«
    »Danke«, sagte ich würdevoll.
    In Wirklichkeit war ich begeistert. Nicht
arbeiten müssen, im Morgenmantel herumsitzen, und dieser köstliche Kuchen von
Tojy — das war nicht das Schlechteste. Außerdem las ich gerade ein fesselndes
Buch voll Romantik und
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