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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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Wasser«,
berichtete er gutgelaunt. »Im Salon treiben der Diwan und die Fauteuils herum.
Ich habe praktisch schwimmen müssen, um diese verdammte Flasche zu erwischen,
die auch auf dem Wasser schaukelte. Verrückt, wie lustig die Dinge aussehen,
wenn sie nicht mehr ihrem gewöhnlichen Zweck dienen. Sogar der dicke dumme
Kühlschrank hält sich für einen Korken.«
    Ich fand das nicht so komisch, aber ich
fühlte, daß er alles tat, um mich aufzuheitern. Wir saßen in die Decken
gewickelt fröstelnd auf seinem Bett und tranken im Dunkeln aus der Flasche.
    »Was machen wir nun?« fragte ich.
    »Wir warten den Tag ab«, sagte Lewis
gelassen. »Die Mauern halten stand. Sie brauchen sich nur in mein trockenes
Bett zu legen und zu schlafen.«
    Schlafen... Der Junge war verrückt.
Aber die Angst und der Alkohol machten mich schwindeln, und ich streckte mich
auf seinem Bett aus. Er saß neben mir. Ich nahm sein Profil vor dem klappernden
Fenster und den rasch dahinjagenden Wolken wahr. Ich sagte mir, daß diese Nacht
nie enden werde, daß ich sterben müsse, und ein großer Kummer, eine kindliche
Angst würgten mich.
    »Lewis«, sagte ich flehend. »Ich
fürchte mich so. Legen Sie sich zu mir.«
    Er antwortete nicht, aber einen
Augenblick später war er um das Bett herumgegangen und an meiner Seite. Wir
lagen beide auf dem Rücken, und er rauchte schweigend eine Zigarette.
    In diesem Augenblick warf sich der
Rolls, von einer besonders großen Welle gehoben, auf unserer Seite gegen die
Mauer. Sie erzitterte unter grauenhaftem Getöse, und ich schlang die Arme um
Lewis. Ich tat es ohne Überlegung. Ich brauchte unbedingt einen Mann, der mich
fest an sich drückte. Was Lewis auch tat. Zugleich aber näherte er sein Gesicht
dem meinen und begann meine Stirn, mein Haar, meinen Mund zu küssen — mit
sanften, regelmäßigen Küssen von unbeschreiblicher Zärtlichkeit. Dabei murmelte
er eine verliebte Litanei, die ich gegen sein Haar, seinen Körper gepreßt nur
schlecht verstand: »Dorothy, Dorothy, Dorothy...« Seine Stimme übertönte nicht
das Heulen des Sturms. Ich rührte mich nicht, warm an einen warmen Körper
geschmiegt, dachte wirklich nichts anderes, außer, sehr verworren, daß es so
enden mußte und daß das weiter nichts zu bedeuten hatte.
    Aber es konnte nicht so enden, ich
erkannte es plötzlich. Zugleich begriff ich, was Lewis war, begriff ich den
Grund für seine Taten, für die Morde und seine platonische Liebe zu mir. Ich
richtete mich hastig auf, zu hastig, und er ließ mich sofort los. Wir
verharrten einen Augenblick unbeweglich, beide zu Stein erstarrt, so als wäre
plötzlich eine Schlange zwischen uns geglitten, und ich hörte den Wind nicht
mehr, ich hörte nur noch die betäubenden Schläge meines Herzens.
    »Jetzt wissen Sie es«, sagte Lewis’
Stimme langsam...
    Er zündete sein Feuerzeug an. Ich sah
ihn im Licht der Flamme, vollkommen schön, so allein, für immer allein... Ich
streckte die Hand nach ihm aus, von schrecklichem Mitleid erfüllt. Aber er
hatte schon seinen blinden Blick und sah mich nicht mehr. Er ließ das Feuerzeug
fallen und legte beide Hände um meinen Hals.
    Ich bin keine Selbstmörderin, aber einen
Augenblick hatte ich Lust, ihn gewähren zu lassen, ich weiß nicht, warum.
Dieses Mitleid, das ich empfand, diese Zärtlichkeit trieb mich dem Tod entgegen
wie einer Zuflucht. Wahrscheinlich war das meine Rettung: daß ich mich nicht
eine Sekunde wehrte. Der Druck von Lewis’ Fingern erinnerte mich daran, daß das
Leben mein kostbarstes Gut war; ich begann ruhig mit ihm zu sprechen, mit dem
wenigen Atem, der mir noch verblieb und der vielleicht mein letzter war.
    »Wenn Sie es so wollen, Lewis... Aber
es tut mir weh. Ich habe das Leben immer geliebt, Sie wissen es, und ich liebe
die Sonne und meine Freunde und Sie, Lewis...«
    Der Druck der Finger ließ nicht nach.
Der Atem wurde mir knapp.
    »Was werden Sie ohne mich anfangen,
Lewis? ... Sie werden sich langweilen... Lewis, mein Lieber, bitte, lassen Sie
mich los.«
    Plötzlich nahm er die Hände von meinem
Hals und drückte sich schluchzend an mich. Ich bettete seinen Kopf an meine
Schulter, streichelte ihm das Haar und sagte lange nichts. So mancher Mann
hatte im Laufe meines Lebens an meiner Schulter gelegen, und nichts rührte mich
mehr und flößte mir mehr Achtung ein als dieser jähe wilde Schmerz der Männer,
aber noch keiner hatte mir so viel zärtliche Liebe eingegeben wie dieser Junge,
der mich beinahe getötet hätte.
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