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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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berichtet mir von seinen
ehelichen Zwistigkeiten.
    »Wie spät ist es?« fragte plötzlich
eine verschlafene Stimme, und Lewis erschien im Morgenmantel auf der Treppe und
rieb sich die Augen. Er hatte offenbar ausgezeichnet geschlafen, und mich
packte die Wut. Wenn er schon Leute umbrachte, sollte er gefälligst selbst in
aller Herrgottsfrühe die Polizei empfangen, anstatt auf seinem Kopfkissen zu
schnarchen. Ich stellte ihn kurz vor. Lewis erschrak nicht im mindesten. Er
drückte Pearson die Hand, bat mich mit seinem kleinen schiefen Lächeln, sich
Kaffee einschenken zu dürfen, und ich sah schon den Augenblick kommen, da er
mich in seiner Verschlafenheit fragen würde, ob ich ihm wegen gestern abend
noch böse sei. Ich goß ihm selbst den Kaffee ein, er setzte sich vor Pearson
nieder, und das Verhör begann. Ich erfuhr, daß dieser sanftmütige Mörder einer
sehr guten Familie entstammte, daß er seine Studien mit ausgezeichnetem Erfolg
abgeschlossen hatte, daß seine Arbeitgeber von ihm begeistert gewesen waren,
und daß ihn nur seine Vorliebe für das ungebundene Wanderleben und die
Abwechslung an einer glänzenden Karriere gehindert hatte. Ich hörte mit offenem
Munde zu. Dieser Bursche war, wenn ich ihn richtig verstand, der ideale Bürger
gewesen, ehe er Dorothy Seymour, der femme fatale Nummer Eins, in die
Hände fiel, die ihn viermal zum Mord anstiftete. Es war unglaublich: ich, die
ich in meinem ganzen Leben keine Fliege ohne Gewissensbisse getötet hatte, ich,
zu der alle verlorenen Hunde, Katzen und Menschen gelaufen kamen. Lewis
erklärte ruhig, er habe die Winchester von dem Tisch im Magazin genommen, auf
dem sie gewöhnlich lag, und sie nicht genauer untersucht, da sie in den acht
Drehwochen ununterbrochen in der Gegend herumgeknallt hatten, ohne daß je etwas
passiert war.
    »Was hielten Sie von Macley?« fragte
Pearson plötzlich.
    »Er war ein Säufer«, sagte Lewis. »Ein
armer Säufer.«
    »Was empfanden Sie, als er
zusammensackte?«
    »Nichts«, sagte Lewis ungerührt. »Ich
wunderte mich nur.«
    »Und jetzt?«
    »Wundere ich mich noch immer.«
    »Hat Sie das Bewußtsein, einen Menschen
getötet zu haben, nicht um den Schlaf gebracht?«
    Lewis hob den Kopf und sah ihm ins
Gesicht. Ich fühlte, wie mir plötzlich der Schweiß auf die Stirn trat. Er biß
sich auf den Finger und machte dann eine verlegene Gebärde mit beiden Händen.
    »Das hat mir überhaupt nichts
ausgemacht«, sagte er.
    Ich wußte, das war die Wahrheit, und zu
meiner Verblüffung sah ich, daß es Pearson mehr als alles andre von seiner
Unschuld überzeugte. Er stand auf, seufzte und klappte sein Notizbuch zu.
    »Alles, was Sie mir gesagt haben, Mr.
Miles, oder so ziemlich alles, ist schon heute nacht überprüft worden. Es tut
mir leid, daß ich Sie stören mußte, aber ich habe meine Vorschriften. Ich danke
Ihnen, Madam.«
    Ich begleitete ihn hinaus bis zur
Treppe. Er murmelte etwas davon, daß wir zusammen einen Cocktail trinken
könnten, und ich nahm die Einladung hastig an. Ich schenkte ihm ein reizendes
Lächeln, als er seinen Wagen startete, ein Lächeln, bei dem ich das Gefühl
hatte, zweiundfünfzig Zähne zu besitzen. Dann ging ich zitternd ins Haus
zurück. Lewis trank mit kleinen Schlucken seinen Kaffee und schien mit sich
sehr zufrieden zu sein. Nach der Angst übermannte mich der Zorn. Ich packte ein
Kissen, warf es ihm an den Kopf und ließ einige Gegenstände von geringem Wert,
die im Livingroom herumlagen, folgen. Ich tat das sehr schnell, ohne genau zu
zielen, und natürlich mußte eine Tasse auf seiner Stirn zerbrechen. Er begann
heftig zu bluten, und ich brach wieder einmal in Tränen aus. Es war das zweite
Mal in einem Monat und zehn Jahren.
    Ich ließ mich auf den Diwan fallen.
    Lewis legte den Kopf in meine Hände. Ich
fühlte das warme Blut über meine Finger rinnen und fragte mich, warum ich
nichts geahnt hatte, damals vor drei Monaten, als ich diesen Kopf auf einer
einsamen Straße, im Schein der Flammen, in meinen Händen hielt und das gleiche
Blut über meine Finger rieselte. Ich hätte ihn liegen lassen sollen,
davonlaufen oder ihn töten. Weinend ging ich ins Badezimmer hinauf, wusch seine
Wunde mit Alkohol und klebte ein Pflaster darauf. Er schwieg und sah peinlich
berührt drein.
    »Sie haben Angst gehabt«, sagte er endlich
ungläubig. »Das war unvernünftig.«
    »Unvernünftig?« sagte ich bitter. »Ich
habe unter meinem Dach einen Kerl, der fünf Menschen getötet hat...«
    »Vier«, sagte er
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