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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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verantworten hat. Aber Ihr habt nichts, gar nichts begriffen. Oder wißt Ihr etwa, was es heißt, stets zurückgestoßen, um Euer Recht betrogen und mißachtet zu werden? Ihr habt keine Ahnung, was mir mein ehrbarer und tugendsamer Bruder all die Jahre über mit seinem heuchlerischen Bessersein und seiner widerlichen Selbstgerechtigkeit angetan und mich damit zu dem gemacht hat, was ich heute bin.«
    Ludwigs Stimme zitterte, als er fortfuhr: »Ich war gerade fünf Jahre alt, als mein Vater, den ich kaum kannte, unter die Erde kam und ich unter die Vormundschaft meines Bruders. Es machte mir nichts aus, denn ich vertraute ihm blind, ja liebte und verehrte ihn und sah fortan in ihm so etwas wie den Vater. Ich suchte seine Nähe noch mehr als zuvor, mußte aber sehr bald schmerzlich erkennen, daß er mich abwies und meine kindliche Sehnsucht nicht erwiderte. Schon damals hatte er nur Geschäft und Erfolg im Sinn. Und als ich sieben war, da schickte er mich gleich ganz weg ins Kloster. Ins Kloster! Wo ich nichts anderes wollte, als bei ihm zu sein.«
    Täuschte sich Peter oder liefen dem Mörder tatsächlich Tränen über die Wangen? Pütrich fuhr hastig und fahrig mit dem Handrücken über die Augen. Heftig bewegt fuhr er fort: »Irgendwann mit fünfzehn oder sechzehn, nach unendlich erscheinenden Jahren, durfte ich selbst entscheiden. Ich wählte die Freiheit und wurde gnädig wieder aufgenommen. Es blieb ein Gnadenbrot, und ich hätte besser daran getan, für immer fortzugehen oder im Kloster zu bleiben. Denn inzwischen war auch Heinrich, sein Sohn, herangewachsen. Er war nur ein Jahr später als ich geboren, und wir waren zunächst wie Brüder aufgewachsen. Doch nun zog mein eigener Bruder seinen Sohn mir vor. Dabei war doch ich ebenso legitimer Erbe meines Vaters, hatte dieselben Rechte, war vom selben Samen. Aber er behandelte mich wie einen Bettler im Hause meines Vaters. Ich ertrug es und schwieg.
    Wenige Jahre später erlitt Heinrich auf einer Kauffahrt einen tödlichen Unfall. Ich hoffte, daß dadurch meine Chance gekommen war, daß mein Bruder mehr Vertrauen in mich setzte und mir den mir zustehenden Teil und meine Rechte übertrug. Und ich war so vermessen zu glauben, daß ich ihm nun vielleicht mehr bedeuten könnte. Doch welch ein Irrtum, denn inzwischen wuchs bereits Ludwig, sein zweiter Sohn, heran und er zog ihn, zog einen siebenjährigen Knaben mir schon wieder vor. Er wurde früh im Handel unterwiesen, was mir stets versagt blieb, genoß beste Ausbildung, während ich für meinen Bruder jede Drecksarbeit verrichtete. Mir gab mein Bruder Heinrich nur die Schuld am Tod seines ersten Sohnes und mied meine Gegenwart mehr denn je.«
    Ludwig Pütrich wirkte erschöpft und ließ sich seufzend auf seinen Stuhl fallen. Er rieb sich die Augen und fuhr sich mehrmals heftig durchs Haar, ehe er weitersprach: »Ich sah wohl, daß ich zu Hause keine Chance bekam und wollte eigenständig mein Glück versuchen. Ich dachte im Zusammenhang mit dem Mauerbau an ein Fuhrunternehmen und den Handel mit Steinen, Kalk und Holz. Aber er pochte in blindem Stolz auf sein Vorrecht und eine veraltete Tradition. ›Wir sind Weinhändler und werden es bleiben‹, waren seine Worte, ›solange ich lebe und dem Handelshaus vorstehe.‹ Und er versagte mir jegliche Unterstützung.
    Jahre später wollte ich mich mit ihm« – er deutete auf den Rabenecker – »zusammentun und hatte auch schon ein Auge auf seine Tochter geworfen. Wir küßten uns heimlich und versprachen uns gar schon die Ehe. Aber dann kam er wieder mit der Macht seines Geldes, das ebenso mir zustand, und er schnappte mir auch noch die Braut vor der Nase weg.«
    Ludwig Pütrich schnaubte verächtlich. »Erst als es ihm selber dreckig ging, erkannte ein verblendeter Herr Rabenecker, welchen Schwiegersohn er sich eingehandelt hatte. Für mich aber war es zu spät. In meiner Verzweiflung stürzte ich mich in Wein und Spiel und haßte mich selbst dafür um so mehr. Und ich fing an, auch meinen Bruder zu hassen, und wenige Monate danach geschah es. Birgit und ich waren uns noch immer herzlich zugetan, aber der alte Narr konnte ihr nicht geben, was ihr junger Körper verlangte. Und so bot sich mir die süßeste Rache, die ich mir vorstellen konnte.« Er lachte gehässig. »O ja, ich hab’ sie genossen, Abend für Abend, und wir haben manches Mal herzlich gelacht, wenn die Stiege knarzte, und wir wußten, daß er sabbernd und bebend vor Neid an der Kammertür lauschte. Und
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