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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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kleinen K wolltet Ihr uns in die Irre führen und in trügerischer Sicherheit wiegen. Ursprünglich aber mußte das Rätsel lauten:
    Rache wird aus Tag der Wahl
  und des Stolzen Zeichen
  zähle Buchstab wäge Zahl
  und Fluch sei seiner Leichen
     
    Des Rabeneckers Gesicht war deutlich farbloser geworden, aber er versuchte gelangweilt zu wirken und fragte leichthin: »Und? Was wollt Ihr damit sagen?«
    »Daß die Verse und das Siegel zusammengehören und erst gemeinsam die Lösung ergeben. Es ist ganz einfach. Ludwig wurde am zwanzigsten Tage des zehnten Monats zum römisch-deutschen König gewählt. Beides zusammen ergibt die Zahl Dreißig. Wenn Ihr nun die umlaufende Schrift des Siegels betrachtet: LVDOWICVS DEI GRACIA ROMANORVM REX, und die Buchstaben zählt, dann erhaltet Ihr ebenfalls die Zahl Dreißig.«
    »Ein Spiel. Kindliche Tändelei«, versuchte Rabenecker abzuwiegeln. »Etwas, das sich ein Scherzbold ausgedacht hat. Nichts weiter.«
    » Ihr treibt ein Spiel mit der Wahrheit und mit dem Tod!« fuhr ihn Konrad Diener an. »Ihr könnt nur hoffen und beten, daß auch der ewige Richter Sinn hat für Eure Art von Scherz. Mir jedenfalls fehlt dafür jegliches Verständnis.«
    Peter fuhr danach in seiner Erklärung fort: »Die folgenden zwei Worte, die den Anspruch auf die Kaiserwürde festlegen, sind arg zerkratzt, so als sollte schon der bloße Gedanke daran ausgetilgt werden. Wer aber die ursprünglichen Worte SEMPER AVGVSTVS genau betrachtet, der erkennt, daß vier Buchstaben völlig unversehrt sind, nämlich S, E, P und T, was unschwer als Abkürzung für September zu deuten ist. Und faßt man den oberen Rand des Siegels ins Auge, dann erkennt man deutlich ein Kreuz, das über dem Haupte des Königs prangt. Man ist zunächst geneigt, ihm keine besondere Bedeutung beizumessen oder es allenfalls als ein Zeichen besonderer Segnung aufzufassen. Wer aber den schrecklichen Zusammenhang kennt, der weiß, daß dieses Kreuz hier unweigerlich für den Tod steht.
    Die Botschaft bedeutet also nichts anderes, als daß der Tod unseres Königs für den dreißigsten Tag dieses Monats beschlossen ist, und es wird in doppelter Weise bestätigt.«
    »Ihr verfluchter Hund!« zischte Rabenecker leichenblaß und drohte mit wutverzerrtem Gesicht: »Es wird ihm und Euch nichts mehr nützen. Ihr kommt zu spät!«
    »Seid unbesorgt!« riet Konrad Diener gönnerhaft. »Die Eilboten sind bereits unterwegs, um den König zu schützen, während Ihr zum Erntedankfest am kommenden Tag des Herrn nur den verdienten Lohn für Euer verbrecherisches Vorhaben in die Scheuer fahren werdet. Wenn Ihr für Euch noch irgend etwas tun wollt, dann nennt uns wenigstens Eure Komplizen.«
    »Fahrt zur Hölle!« schrie ihn der Rabenecker an.
    »Oh, ich will gar nicht ausschließen, daß ich das eines Tages tun werde«, erwiderte der Richter spöttisch, »aber ich denke, mir verbleibt noch etwas Zeit, um darüber zu befinden. Euch jedoch sehe ich in meinen Träumen schon nicht mehr zur Gänze vor mir, sondern viergeteilt, und der Wind, der durch die Tore fegt und an den Teilen Eures Kadavers rüttelt, wird in den nächsten Wochen mein Schlaflied sein.«
    Konrad Dieners Gesicht strahlte vor Zufriedenheit und Genugtuung, und jedermann konnte sehen, daß dies ein besonderer Tag für ihn war. Er erhob sich, warf sich mit der Würde seines Amtes in die Brust und sprach mit sonorer, fast feierlicher Stimme: »Heinrich Pütrich, Kaufmann und Ratsherr der Stadt München, Ihr habt Euch der fortgesetzten Zauberei schuldig gemacht und werdet Euch dafür vor dem geistlichen Gericht verantworten müssen, so wie Ihr es in eigener Voraussicht an der Leiche Leonhart Küchlmairs schon angedeutet habt.
    Heinrich Rabenecker, Kaufmann und Ratsherr dieser Stadt, Ihr werdet des Hochverrats beschuldigt, und unverzüglich dem königlichen Gewahrsam überstellt.
    Ludwig Pütrich, Kaufmann und Bruder des vorgenannten Ratsherrn, Ihr seid des vielfachen Mordes überführt und werdet im Namen des Königs sowie des Rates der Stadt München und ihrer Bürger öffentlich an den Strang gehängt, bis daß der Tod eintritt.«
    Plötzlich erhob sich der so Verurteilte ganz langsam, fixierte die Gruppe seiner Ankläger mit stierem Blick und preßte fast tonlos hervor: »Ihr kommt Euch wohl alle mächtig schlau vor, meine Herren, und ganz besonders Ihr, Peter Barth. Hat es Euch Spaß gemacht? Seid Ihr mit Euch zufrieden? O ja! Ihr glaubt in mir den Mörder zu sehen, der all dies zu
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