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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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sein unbeugsamer Stolz war unsere beste Versicherung, denn wir wußten, daß er uns nie verraten würde, weil er die Schande nicht ertragen hätte.«
    Ludwig Pütrich grinste in satter Zufriedenheit, als ginge es nur um einen Schelmenstreich. Peter verspürte zwar eine gewisse Befriedigung über den geglückten Ausgang seiner Inszenierung, aber Genugtuung wollte nicht aufkommen. Er fühlte sich unwohl in diesem Zimmer, als fehlte ihm die Luft zum Atmen. Doch es war mehr eine bis dahin nicht gekannte Bösartigkeit, die den Raum erfüllte und ihn zu ersticken drohte. Und doch – seltsam – verspürte er auch so eine Art Mitleid, Mitleid mit beiden Brüdern, weil sie ihren Haß nie überwinden, nie zueinanderfinden konnten. Und fern jeglichen Triumphgefühls dachte Peter an eigene Rachegelüste und wie nah er zeitweilig selbst am Abgrund gestanden hatte. Nur Zufall oder Gnade hatten ihn davor bewahrt, die Hand wider seinen Bruder zu erheben. Aber Ludwig Pütrich hatte gemordet, nicht einmal, nein – vielfach und auf heimtückische und bestialische Weise.
    Während Peter noch darüber nachsann, sprang Ludwig Pütrich plötzlich wieder auf. Sein Gesicht war zu einer häßlichen Fratze verzerrt, und er brüllte seinen wie versteinert dasitzenden Bruder an: » Du warst es, der mir alles geraubt und mein Leben zerstört hat. Du hast mich schon so gut wie getötet, als ich noch ein Knabe war und du trägst in Wahrheit die Schuld für alles, was geschehen ist! Ich habe mir nur genommen, was mir zustand.«
    Er wischte sich wieder über die Augen, und in einer schwer erträglichen Mischung aus Weinen und irrem Lachen stieß er hervor: »Du bist unfehlbar, wolltest immer recht behalten. So sei dir noch verraten, daß du auch damals recht hattest: Ja, ich war es, der deinen Sohn Heinrich eigenhändig in den Abgrund stürzte, weil ich gehofft hatte, dich dafür zu gewinnen. Und ich bereue nichts, gar nichts! Und ihr werdet mich weder dafür noch für irgend etwas anderes hängen!«
    Bevor ihn jemand daran hindern konnte, riß er die Türe auf und stürmte hinaus. Während die anderen ihm noch reglos nachstarrten, rief Konrad Diener seinen Knechten eine Warnung zu. Aber der Mörder dachte nicht daran, an ihnen vorbei zu entwischen. Er hastete ganz im Gegenteil über die steile Treppe nach oben. Was hatte er vor? Wollte er sich eine Waffe besorgen? Wollte er über das Dach oder den Speicher entfliehen? Niemand sollte es je erfahren.
    Peter und Paul, die als erste durch die Türe drängten, konnten gerade noch zurückspringen, als Ludwig Pütrich mit einem langgezogenen, gräßlichen Schrei und sich mehrmals überschlagend an ihnen vorbeirollte und polternd und krachend die steile Stiege hinabstürzte, an deren Ende er mit gebrochenem Genick reglos liegenblieb. Birgit Pütrich heulte auf, nachdem sie das Schreckliche begriffen hatte, stürzte zu ihrem Geliebten und warf sich schluchzend über den Toten.
    Paul schaute nach oben und sah, daß sich ein Brett gelöst hatte, das vermutlich zuvor schon mit Berechnung und Absicht gelockert worden war. Er stieß Peter an, deutete hinauf und sagte: »Dies war wohl dem Alten zugedacht, wenn er wieder einmal lauschen wollte.« Und Peter murmelte darauf: »Mein Gott! Unsere kleine Täuschung mit dem Vers von der Grube hat sich schrecklich bewahrheitet.«
    Während der Richter mit den Schultern zuckte und lakonisch bemerkte: »Doch noch ein echtes Gottesurteil«, hatte Servatius folgerichtig das Bild von der Himmelsleiter vor Augen, auf der die Gottlosen von Dämonen bedrängt ausgleiten und jählings in die Tiefe stürzen. »Er hatte nicht einmal mehr Zeit, seine Sünden zu bereuen«, flüsterte er ergriffen und setzte ohne allen Groll hinzu: »Der Herr sei seiner armen Seele gnädig!«
    Heinrich Pütrich saß noch immer regungslos und innerlich gebrochen auf seinem Stuhl.
    Die Menge draußen hatte mitbekommen, daß etwas Schlimmes geschehen war. Als die vier Knechte des Richters mit gezogenen Schwertern den Rabenecker zur Burg des Königs eskortierten, wichen die Neugierigen erst betreten zurück, erinnerten sich aber sogleich seiner früheren Missetat, für die er verbannt worden war, und begleiteten ihn nun mit wüsten Beschimpfungen und drohend emporgereckten Fäusten.
    Peter und Paul sowie der Richter und Bruder Servatius folgten mit einigem Abstand, noch immer im Bann der beklemmenden Atmosphäre im Hause Pütrich und des entsetzlichen Geschehens, dessen Zeugen sie eben geworden waren.
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