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Der versunkene Wald

Titel: Der versunkene Wald
Autoren: Michel Rouzé
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stürzten.
    „Widerwärtiges Viehzeug! Was ist denn das?“ rief Suzanne erschrocken und setzte sich, so gut es ging, mit Fußtritten zur Wehr.
    Raymond schnallte seinen Gürtel ab und hielt mit ihm wie mit einer Peitsche die Tiere in Schach. Unvermutet, wie sie gekommen war, glitt plötzlich die Nebelbank weiter. Sie erkannten, daß sie einer ganzen Schar von Wildgänsen ausgeliefert waren. Von einem angriffslustigen Gänserich geführt, ließen sich die Vögel nicht abschrecken und bereiteten sich eben zu einem neuen Sturmangriff vor, wobei sie greuliche Zischlaute von sich gaben. Der Ausgang des Kampfes schien ungewiß; da aber wurden die Gänse durch die Ankunft dreier mit Steinen und Stöcken bewaffneter Jungen in die Flucht geschlagen.

    „Michel! Punkt Eins! Punkt Zwei! Wo kommt ihr denn her?“
    „Na, und ihr? Seit vier Tagen suchen wir euch überall!“
    „Warum seid ihr nicht in Courtils geblieben?“
    „Und eure Räder? Warum habt ihr die auf dem Mont Saint-Michel gelassen? Wenn wir sie da nicht gefunden hätten mitsamt dem Moped, dann hätte die Gendarmerie sie jetzt in den Fingern!“
    Von beiden Seiten überstürzten sich die Fragen. Jeder wollte so viel wissen, daß keiner zum Antworten kam.
    Auf der Rückfahrt hatten Michel und die Zwillinge in Genets eine kurze Ruhepause eingelegt. Sie hatten schnell ein paar Lebensmittel gekauft und sich damit an den Strand gesetzt, dort, wo das Flüßchen mündet und sich im Sande verliert.
    Während sie aßen, versuchten sie zum hundertsten Male, sich das Verschwinden der Kameraden zu erklären. Hätten sie nicht doch schon am Dienstag nach Hause fahren und ihren Eltern sagen müssen, daß sie Raymond nicht angetroffen hatten? Viel kostbare Zeit war verlorengegangen, in der man den Verschwundenen vielleicht hätte zu Hilfe kommen können …
    Und da hörten sie von weit draußen Raymonds Ruf.
    „Mir war, als träumte ich“, sagte Punkt Eins. „Eben dachte ich an dich, und auf einmal glaubte ich deine Stimme zu hören!“
    „Da haben wir den Meerkatzenruf ausgestoßen“, erzählte Punkt Zwei weiter. „Was meint ihr, wie wir uns gefreut haben, als ihr geantwortet habt!“
    „Ein Pech, daß ihr mitten zwischen die Gänse geraten mußtet! Die waren ja außer Rand und Band!“
    „Ihr habt uns richtig das Leben gerettet!“ rief Suzanne. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine so bösen Tiere gesehen!“
    „Und jetzt“, verlangte Punkt Eins, „jetzt müßt ihr uns alles erzählen, was ihr erlebt habt. Ihr werdet euch ja nicht vier Tage lang nur mit Gänsen herumgeschlagen haben.“
    Sie hatten sich auf ein kleines trockenes Mäuerchen am Strande gesetzt.
    „Nachher“, antwortete Raymond. „Es ist eine lange Geschichte, und vielleicht werdet ihr sie kaum glauben. Aber zuallererst: Habt ihr noch was zu essen für uns?“
    „Es ist nur noch Brot und Käse da. Aber wir können ja rasch in einem Laden …“
    „Nicht doch!“ wehrte Suzanne ab. „Ihr könnt euch gar nicht denken, was das heißt: Brot und Käse. Es ist genau das, was wir jetzt am nötigsten brauchen.“
    „Daß du auch mit dabei warst, darauf sind wir gar nicht gekommen. Wo ist denn dein Vetter geblieben?“
    „Ich mag gar nicht an zu Hause denken. Habt ihr meine Eltern gesehen?“
    „Wir wollten ihnen vorhin Bescheid sagen, als wir durch Avranches kamen. Aber es war niemand da, und so sind wir weitergefahren.“
    „Für die anderen Eltern ist das ein Glück. Dann haben sie noch nicht angefangen, sich zu sorgen. Aber daß meine Eltern nicht in Courtils nach mir gefragt haben, verstehe ich nicht. Ich muß wissen, was da los war …“
    Ein Stück Brot mit Käse in der Hand, lief sie rasch entschlossen zur Straße hinauf.
    „Wo willst du hin?“ fragte Raymond.
    „Bei meiner Tante anrufen. Um diese Zeit habe ich vielleicht Glück und bekomme nur André an den Apparat.“ Die Leitung war besetzt, Suzanne mußte warten. Aber dann meldete sich, wie sie gehofft hatte, ihr Vetter. Seine Erkältung hatte sich nicht gebessert, und er war nicht von Avranches weggekommen. Seine Eltern waren gerade ausgegangen, er selbst war vor kurzem von einer Besorgung zurückgekehrt. Das Gespräch dehnte sich in die Länge, und an beiden Enden der Leitung gab es überraschte Ausrufe.
    Als Suzanne wieder am Strand erschien, strahlte sie. „Alles ist klar!“ sagte sie. „Wir haben einen mächtigen Dusel gehabt. Meine Eltern sind nach Paris gefahren und glauben, daß ich in Avranches geblieben bin.
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