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Der Väter Fluch

Der Väter Fluch

Titel: Der Väter Fluch
Autoren: Faye Kellerman
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einen Moment. Draußen versuchte erneut jemand, die Badezimmertür zu öffnen.
    »Besetzt!«
    »'tschuldigung«, erwiderte eine gedämpfte Stimme.
    Schließlich wandte Golding sich wieder an Rina. »Dieser Mann, von dem Sie sprachen... ist er glaubwürdig?«
    »So glaubwürdig, wie man es sich nur wünschen kann, wenn man bedenkt, dass er über neunzig ist. Er kennt den Namen des Jungen nicht, und er weiß auch nicht, wer Yitzchak Golding war. Aber er sagt, dass die Fotografien Bilder von Treblinka zeigen. Er hat sogar den Elektrozaun wiedererkannt.« Rina sah zur Seite und wischte ein paar Tränen weg. »Es war sehr schwer für ihn, diese Bilder zu betrachten. Aber er hat es auf sich genommen, um Ihnen zu helfen, weil er nicht wollte, dass irgendjemand länger leiden musste. Er bezeichnete den jungen Fotografen als kleinen Helden. Wenn dieser Junge Ihr Vater war, sollten Sie sich darüber freuen.«
    »Und was, wenn nicht?«
    »Das hängt davon ab, wie weit Sie gehen möchten.«
    »Er hat meinen Vater als kleinen Helden bezeichnet?«
    »Ja.«
    »Mein Vater war ein kleiner Held. Ihr Mann hat gesagt, dass möglicherweise auch mein Sohn als kleiner Held gestorben ist... als er versuchte, das Richtige zu tun. Aber vielleicht wollte er nur, dass ich mich besser fühle.«
    »Nein, so etwas würde Peter nicht machen«, widersprach Rina. »Wenn er Ihnen gesagt hat, dass Ihr Sohn das Richtige tun wollte, dann entspricht das der Wahrheit.«
    Wieder schwiegen beide. Dann fuhr Rina fort: »Die meisten Menschen kommen nie auch nur in die Nähe eines Helden - und Sie haben gleich zwei in der Familie.«
    »Sie meinen, ich hatte zwei.« Carters Gesicht war tränenüberströmt. Schließlich erhob er sich. »Ich danke Ihnen für alles, was Sie getan haben, Mrs. Decker. Und noch dazu so schnell.«
    »Das war doch nicht der Rede wert, Carter. Und bitte sagen Sie Rina zu mir. Wir haben beide so viel durchgemacht, dass wir uns ruhig beim Vornamen nennen können.«

38
    Vor Rubys Krankenhauszimmer hielten mehrere Polizisten Wache; Jacobs Blick fiel sofort auf ihre Waffen. Peter bat ihn, einen Moment zu warten. Jacob beobachtete, wie sein Stiefvater mit den Uniformierten und den Beamten in Zivil sprach. Nach ein paar Minuten kam Peter zurück und sah ihn mit ernster Miene an.
    »Es geht ihr immer noch ziemlich schlecht. Nur fünf Minuten, okay?«
    »Musst du jetzt ein paar Vorschriften umgehen?«, fragte Jacob. »Kein Problem. Hauptsache, du beeilst dich.«
    »Ich werde dich nicht blamieren.« Jacob lächelte, aber er war sichtlich nervös. Der erste Schritt war immer der schwerste. An der Türschwelle blieb er stehen. Das Bett links war leer - Rubys Bett stand rechts, direkt am Fenster. Sie war umgeben von medizinischen Geräten.
    Auf Zehenspitzen näherte er sich ihrem Bett, bis er sie leise ansprechen konnte. Sie bemerkte ihn nicht. Wie auch? Sie schien völlig unfähig, den Kopf auch nur einen Millimeter zu bewegen. Das ganze Zimmer war von einem starken, unangenehmen Geruch erfüllt. Jacob fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und starrte auf Ruby hinunter.
    Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Kopf war vollständig bandagiert. Das, was zwischen dem Verband herausschaute, war rot und geschwollen. Ein breiter Gazestreifen verdeckte Nase und Wangen. Zwischen den wunden Lippen konnte er abgebrochene Zähne erkennen.
    Sie lag seit drei Tagen im Krankenhaus. Gestern hatte sie nach ihm gefragt, und er hatte volle vierundzwanzig Stunden gebraucht, um all seinen Mut zusammenzunehmen.
    Jetzt öffnete sie ihre blutrot unterlaufenen braunen Augen. Sie wanderten zu Jacob und musterten ihn von Kopf bis Fuß. Dann murmelte Ruby etwas. Da er sie nicht verstehen konnte, ging er näher heran.
    Leise sagte sie: »Du bist gewachsen.«
    Jacob fuhr mit der Zunge über seine Lippen. »Ein paar Zentimeter.«
    »Wie groß bist du?«, nuschelte sie. »Einsachtzig, einsfünfundachtzig?«
    »Knapp einsachtzig. Der Kleinste von den Männern in unserer Familie.«
    »Ja...« Ihre Stimme war kaum zu hören. »Dein alter Herr ist wirklich groß.«
    »Der zählt nicht.« Jacob zuckte zusammen. »Ich meine, er zählt genetisch nicht. Er ist mein Stiefvater.«
    »Stimmt.« Als Ruby langsam den Kopf drehte, sah er den Schmerz in ihren Augen. »Was hast du ihm erzählt?«
    »Alles.«
    Die violett geschwollenen Lider hoben sich ein wenig.
    »Ich musste ihm von der Hütte erzählen, also musste ich ihm auch den Rest beichten.« Jacob zwang sich, sie anzusehen.
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