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Galgenberg: Thriller (German Edition)

Galgenberg: Thriller (German Edition)

Titel: Galgenberg: Thriller (German Edition)
Autoren: Margie Orford
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1
    Kurz nach Mitternacht flaute der Südostwind ab. Der seit Tagen wütende Wind verzog sich in die Schluchten des Tafelberges und gönnte der geprügelten Stadt eine Atempause. Die Hündin schüttelte sich verschlafen in der uringetränkten Gasse zwischen Parliament Street und der Slave Lodge. Jetzt war die beste Zeit, um auf die Jagd zu gehen, noch bevor Banden von verwilderten Kindern aus den Abwasserrohren auftauchten und die Mülltonnen durchwühlten. Die Hündin richtete ihren Blick auf ihr Frauchen und winselte.
    Keine Reaktion.
    Die Hündin drückte die feuchte Schnauze gegen die Hand der Frau. Dann stupste sie leise knurrend mit der Nase gegen ihr Gesicht. Die Frau regte sich.
    »Jennie, ou hond. Is’ noch tiefe Nacht, mos .« Sie drückte sich tiefer in ihr Nest aus Decken.
    Jennie leckte ihr übers Gesicht. Die Frau setzte sich auf.
    Die Hündin bellte.
    » Ag, hondjie .« Sie wuschelte dem Hund über den Kopf. »Hast du Hunger?«
    Die Hündin jagte ihren Schweif, als wäre sie für einen Moment wieder ein Welpe. Die Frau kam mühsam auf die Beine, schulterte ihre Bettrolle und folgte Jennie an die Mündung der Gasse. Dort blieb sie im Schutz einiger Bäume stehen. Ein einsames Licht im Kirchenschiff von St. George’s färbte die Blätter einer Eiche blutrot und blau. Ein Buntglas-Jesus, mit geschlossenen Augen, um nichts zu sehen.
    Die Adderley Street lag verlassen da. Nur Banken, Läden, der Brunnen, die Statue. Jan van Riebeeck. Eva hatte Mitleid mit ihm, dem Holländer, der ans windgebeutelte Kap der Guten Hoffnung ausgesandt worden war, um hier Gemüse anzubauen. 1652. Die einzige Jahreszahl, die Eva aus der Schule im Gedächtnis geblieben war. Einmal war sie von der Weinfarm mit dem Bus in die Stadt gekarrt worden, um gemeinsam mit ihren Klassenkameraden zu marschieren. Alle hatten mit kleinen, von der Arbeit schwieligen Fäusten die orangeweiß-blaue Flagge umklammert und für eine Republik gejubelt, die nicht die ihre war.
    Eva ging nach Westen.
    Die Strand Street war genauso menschenleer. Dafür waren hier die Mülltonnen voll. Ein Sandwich für Eva, ein Hühnerknochen für Jennie. Sie gingen auf das Geflecht von Schnellstraßen zu, auf die Werften und neuen Wohnblocks. Die Frau hielt die Nase in den Wind. Sie roch den Ozean. Salz, faulender Tang, Diesel, die Matrosen, die mit Geld in den Taschen an Land gingen. Inzwischen war Eva zu alt, zu uitgenaai , sogar für einen besoffenen Matrosen, der die letzten sechs Monate auf See gewesen war. Vor den Stripclubs am unteren Ende der Stadt gab es mehr zu essen. Um diese Zeit waren die Türen verriegelt, die Hocker der Türsteher standen verkehrt herum in den Treppenaufgängen. Zwei Huren stiegen gemeinsam in ein Taxi.
     
    Ein scharfer Schmerz presste Evas Herz zusammen. An die Mauer gelehnt, wartete sie darauf, dass er nachließ. Sie umkrampfte den Anhänger auf ihrer Brust, jene gravierte Scheibe, die ihrem Tastsinn vertrauter war als jede Erinnerung. Die Berührung beruhigte sie, nahm dem Brennen in ihrer Brust die Schärfe. Sie fuhr die Buchstaben nach  – VOC  –, die nach dreihundert Jahren schwach wie Fingerabdrücke aus dem Metall ragten. Die Gravur auf der Rückseite war verschlissen, die Ziffern waren kaum noch zu erkennen. Der Anhänger beschwor die Erinnerung an ihre Mutter herauf, an ihre Großmutter, die Wärme von Körpern am Feuer, geflüsterte Erzählungen vom Überleben, von Rebellion, von viel schwärzeren, aber weitaus weniger gefährlichen Nächten als in den Straßen dieser Stadt. Diese verstreuten Erinnerungen lagen tief eingebettet in Evas Erbe, weitergereicht von Mutter zu Tochter. Eva war die Letzte in dieser Linie.
    An der Buitengracht Street, der westlichen Grenze des alten Kapstadt, wartete Eva im Schatten ab, bis der Streifenwagen vorübergerollt war, und wanderte dann unbeobachtet mit ihrem Hund über die Straße. Im Schatten des Nelson Mandela Boulevards machten sie sich auf den Weg in Richtung Green Point. Die Schnellstraße zog hier eine Schleife, mit der die Stadt von ihrer Lebensader, dem Ozean, abgeschnürt wurde. Gleichzeitig bot sie Schutz vor den Polizisten, die für die neueste Ladung an frisch gelandeten Touristen die Straßen säuberten. Eva und Jennie schlüpften durch eine Lücke im Stacheldrahtzaun rund um eine neue Baustelle unterhalb der Schnellstraße.
    Der Grill des Wachmanns qualmte vor dem hölzernen Wachhäuschen, aber ansonsten rührte sich nichts. Während Eva den Weg zu einem Nebengebäude
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