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Der Väter Fluch

Der Väter Fluch

Titel: Der Väter Fluch
Autoren: Faye Kellerman
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sein. Er war nicht sehr groß, und jetzt wirkte er geradezu winzig. Er trug einen schwarzen Pullover und eine schwarze Hose; seine Füße steckten in weißen Sportsocken und sahen aus, als wären sie bandagiert. »Haben Sie etwas schlafen können?«, fragte Rina.
    »Nein. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder schlafen kann.«
    »Es tut mir so Leid.«
    »Mir auch.« Er zupfte an seinem Bart. »Brook hat mir gesagt, dass Sie hier sind.«
    »Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
    »Alle Schlafzimmer sind von Familienmitgliedern belegt - mit Ausnahme unseres Schlafzimmers, aber Jill hält sich dort auf. Ich möchte sie ungern stören.«
    »Natürlich nicht. Vielleicht gehen wir in die Küche oder in Ihr Arbeitszimmer ?«
    »Dieses Haus hat nicht viele abgetrennte Räume. Mit Ausnahme der Schlafzimmer sind alle Bereiche offen. Ich wollte immer ein offenes Haus mit durchgehenden Flächen. So sind meine Frau und ich nun mal. Alles offen... nichts zu verbergen. Was auf der Packung steht, ist auch drin. Genauso wollte ich es, weil... weil die Geschichte meiner Familie irgendwie immer im Verborgenen lag.« Er sah sie direkt an. »Ich vermute, das ist auch der Grund, warum Sie hier sind.«
    »Ja.«
    »Wie lautet das Urteil?«
    »Mr. Golding, können wir uns nicht vielleicht in eines der Bäder zurückziehen?«
    »Ist es wirklich so schlimm?«
    »Nein, nur kompliziert. Wie wäre es mit einem Badezimmer im oberen Stock? Ich nehme doch an, dass Sie Ihre Bäder von innen abschließen können.«
    »Natürlich können wir unsere Bäder von innen abschließen. Wir sind doch nicht pervers!«
    Rina spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Natürlich nicht.«
    Carter schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid, dass ich Sie so angefahren habe...«
    »Ist schon in Ordnung, Mr. Golding...«
    »Nein, das ist es nicht! Und nennen Sie mich verdammt noch mal Carter!«
    »Natürlich.«
    Golding starrte sie an und sah dann verlegen zur Seite. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich kann mich überhaupt nicht mehr beherrschen... ich kann nicht...«
    »Hören Sie, Carter. Mein Mann starb, als ich vierundzwanzig war. Das ist zwar nicht das Gleiche, aber es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Sie müssen sich nicht für Ihr Verhalten entschuldigen. Ich hab das jedenfalls nie getan.«
    Er betrachtete sie. »Woran ist Ihr Mann gestorben?«
    »Gehirntumor.«
    »Bitte entschuldigen Sie.« Er schüttelte den Kopf. »Gott, das war schrecklich unhöflich von mir.«
    »Nein, ich fand die Frage nicht schlimm. Und Sie sollten es auch so sehen. Können wir jetzt irgendwohin gehen und uns unterhalten?«
    »Ja.« Er nickte lebhaft. »Ja, natürlich. Oben. Bitte, hier entlang.«
    Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf. Dadurch dass sie ihren eigenen Kummer preisgegeben hatte, wirkte Rina in den Augen des Mannes menschlicher. Eigentlich war es ihr nur so herausgerutscht. Yitzchak lebte seit mehr als zehn Jahren nicht mehr, und sie war mit Peter inzwischen länger verheiratet als mit ihm. Hin und wieder schlich er sich in ihre Gedanken, aber das geschah nur selten am Tag. In ihren Träumen hingegen... ihre Träume waren immer so real... er fragte sie dann, warum sie nicht auf ihn gewartet hatte. Und wenn sie am Morgen aufwachte, wurde sie von einem schrecklichen Schuldgefühl geplagt. Das ergab zwar keinen Sinn, aber so war es nun mal.
    Carter führte sie nach oben ins Badezimmer, in dem sich eine Toilette und ein kleines Waschbecken mit einem runden, geschliffenen Spiegel befanden. Ihr Spiegelbild beunruhigte sie einen Moment, da in jüdischen Haushalten im ersten Trauermonat alle Spiegel verhängt werden. Carter verschloss die Tür, klappte den Deckel der Toilette herunter und bot ihn ihr als Sitzplatz an.
    »Nein, danke«, sagte Rina, »aber möchten Sie sich nicht setzen?«
    Golding musste nicht lange überredet werden. »Ich begrüße es sehr, dass Sie hierher gekommen sind, Mrs. Decker. Und noch dazu um diese frühe Uhrzeit.«
    »Ach, ich bin bereits seit halb sechs auf.«
    »Sie hätten mich anrufen sollen. Ich war auch schon wach.«
    Rina lächelte.
    »Sind Sie ein Frühaufsteher?«, fragte Golding.
    »Nein, eigentlich nicht, aber ich hatte noch so vieles zu erledigen. Zuerst musste ich zum Revier und meinen Mann dazu überreden, mir noch ein paar der sichergestellten Fotos aus der Asservatenkammer zu holen...«
    »Was für Fotos?«
    »Fotos, die nach der Verwüstung der Synagoge zurückgelassen wurden, und Fotos aus dem Zimmer Ihres
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