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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Kammern aufgeteilt wäre. Ja, richtig – es handelte sich um ein System zur Dämpfung des Aufpralls von Bomben, das zur Zeit der alliierten Angriffe konzipiert worden war. Zwischen den Quadern wuchsen Bäume. Anaïs fühlte sich fast wie in einem verlassenen Gefängnis im tiefsten Dschungel.
    Vorsichtig tastete sie sich an der Wand entlang, bog Zweige zur Seite und bekam Gischtfetzen ins Gesicht. Wo war der Mörder? Wahrscheinlich irgendwo hier in diesem Labyrinth. Immer noch schnitt die Fessel aus Kabelbinder in ihre Handgelenke. Sie musste schnell handeln, den Ausgang suchen, eine Leiter finden, auf den Kai hinunterklettern. Schon sammelte das Meer in der Ferne neue Kraft für den nächsten Ansturm.
    Hinter einer Ecke entdeckte sie einen Ausweg. Hier sah das Dach anders aus, flach und zersprungen wie die Erde nach einem Beben. Ein Blick nach links zeigte ihr das aufgewühlte Hafenbecken. Übereinandergeworfene Frachtkähne, blinkende Schlepper. Ohne lange nachzudenken, schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein. Nur fort vom Wasser! Sie musste die Parkplätze und Lagerhäuser finden.
    In einer Pfütze glitt sie aus, fiel, stand wieder auf. Als sie kaum noch dreißig Meter vom Rand des Bunkers entfernt war, kam die nächste Welle. Anaïs wurde zu Boden geschleudert und vorwärtskatapultiert. Schon glaubte sie, sie würde abstürzen, da zog die gleiche Kraft sie wieder nach hinten und trug sie an ihren Ausgangspunkt zurück.
    Anaïs rang um Atem. Es war eine rohe, heftige Gewalt, die da mit ihr spielte. Sie rollte sich zusammen und schaffte es, langsamer zu werden und den Kopf aus dem Wasser zu heben. Luft! Ihre zusammengeklebten Lippen verhinderten das Atmen durch den Mund. Mit aller Kraft sog sie die Luft durch die Nase ein. Salzwasser brannte auf ihren Schleimhäuten. Ihre Ohren rauschten wie große Muscheln. Sie musste den Rand erreichen und eine Leiter finden, ehe sich die nächste Welle über dem Dach brach und sie mit sich riss. Doch diese Lösung konnte sich als zweischneidiges Schwert entpuppen. Das Ende des Daches konnte ebenso gut die Rettung wie auch der sichere Tod sein.
    Sie versuchte zu rennen. Vergeblich. Hinter ihr baute sich mit Getöse die nächste Wasserwand auf. Wie ein Theatervorhang. Noch zwanzig Meter. Verzweifelt suchte sie nach einer Leiter oder irgendetwas anderem, das sie nach unten bringen könnte. Zehn Meter. Das Grollen brachte den Boden zum Erzittern. Die Brandungswelle kam näher, wurde schneller, würde sie gleich berühren … Es war zu spät, dem Sturz auszuweichen.
    Doch dann sah sie sich mit einer anderen Bedrohung konfrontiert.
    Plötzlich stand der Mörder neben ihr. Sein Gesicht war zu einem irren Lachen verzerrt. Er holte mit seiner Feuersteinaxt aus.
    Für Anaïs gab es genau zwei Möglichkeiten. Sie konnte sich ihren Tod aussuchen. Auf der einen Seite die Welle und das Nichts, auf der anderen Toinin mit seiner Axt.
    Den Kopf voran stürzte sie sich auf Toinin und traf ihn mit voller Wucht in den Bauch. Er krümmte sich. Beide stürzten zu Boden. Anaïs war die Schnellere und sprang sofort wieder auf die Beine. Sie versuchte die Gefahr einzuschätzen. Hier die Sogwelle, die herandonnerte, dort der mythologische Mörder, der sich langsam wieder aufrichtete …
    Es war wie ein Zeichen. Ein Ruf aus dem Unterbewusstsein. Irgendetwas brachte sie dazu, den Kopf nach links zu drehen. Die Befestigung einer Eisenleiter! Zwei Griffe, die die Arme nach ihr auszustrecken schienen! Anaïs rannte um ihr Leben. Doch der Mörder folgte ihr mit erhobener Axt.
    Es war das Letzte, was sie sah. Die Welle verschlang sie beide. Anaïs schloss die Augen. Tausende Gischtfinger hielten sie unbeirrbar fest. Überall, an der Taille, an der Brust, am Kopf. Sie tauchte in eine dumpfe Wasserwelt. Schleifte über Steine. Dass sie nicht durch die Schläge des Mörders starb, war bereits ein Sieg. Doch für den zweiten Sieg – den Sieg, zu überleben – war sie nicht mehr stark genug.
    Als letztes Bild sah sie einen Überwachungsmonitor für die Lebensfunktionen eines Kranken. Die leuchtende grüne Linie zeigte keine Ausschläge mehr. Sie glaubte sogar, den schrillen Alarm der Maschine zu hören. Doch alles schien bereits weit fort zu sein. Überdeckt vom finsteren Lärm des Ozeans.
    Ein Stoß in den Rücken riss sie aus ihrer Betäubung. In einem Aufflackern von Klarheit begriff sie, dass es die Leiter war, in der sie sich verkeilt hatte. Ohne sich ihrer Bewegungen bewusst zu sein, drehte und wendete
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