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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sich wieder hinzulegen. Die Verschnaufpause hatte gerade einmal eine halbe Stunde gedauert, ehe dieser dämliche Anruf kam. Scheiße.
    Reglos blieb er im Dunkeln sitzen. Immer noch tönte das Freizeichen durch den nächtlichen Raum.
    Schließlich steckte er das Handy in die Tasche und stand auf. Wieder tauchte die weiße Mauer aus dem Traum vor seinen Augen auf. Eine Frauenstimme murmelte: »Feliz …« Es war das spanische Wort für »glücklich«. Wieso spanisch? Und wieso eine Frau? Hinter seinem linken Auge spürte er den vertrauten, stechenden Schmerz, der ihn bei jedem Aufwachen begleitete. Er rieb sich die Augen und trank einen Schluck Wasser direkt aus der Leitung.
    Ohne Licht zu machen, tastete er sich zur Tür und öffnete sie mit seiner Chipkarte.
    Er hatte sich in seinem Sprechzimmer eingeschlossen, weil der Medikamentenschrank behütet werden musste wie der Heilige Gral.
    Fünf Minuten später betrat er die vor Nässe glänzende Auffahrt zu seiner Station. Seit dem Abend war Bordeaux in einen ungewöhnlich dichten, weißlichen Nebel gehüllt. Freire schlug den Kragen des Regenmantels hoch, den er über seinen Kittel gezogen hatte. Der Geruch des Meeres kribbelte in seiner Nase.
    Freire schlenderte durch die Anlage. Man konnte kaum drei Meter weit sehen, doch er kannte das Gelände in- und auswendig. Niedrige, grau verputzte Pavillons mit gewölbten Dächern wechselten sich mit rechteckigen Rasenflächen ab. Natürlich hätte er auch einen Pfleger schicken können, doch er legte Wert darauf, seine »Kunden« selbst in Empfang zu nehmen.
    Er überquerte den zentralen, von einigen Palmen gesäumten Innenhof. Normalerweise erfüllten ihn die von den Antillen importierten Bäume mit einem gewissen Optimismus, doch in dieser Nacht funktionierte es nicht. Die Dunstglocke aus Kälte und Feuchtigkeit war stärker. Freire erreichte das Eingangstor, grüßte den Wachmann mit einer Handbewegung und trat auf die Straße hinaus. Der Streifenwagen war bereits da. Stumm zeichnete das Blaulicht eine hektisch blinkende Spur in den Nebel.
    Freire schloss die Augen. Der Schmerz pulsierte nach wie vor unter seinen Lidern, doch er maß ihm keine Bedeutung bei, weil er ihn für psychosomatisch hielt. Es war sein Beruf, psychische Erkrankungen zu versorgen, die den Körper in Mitleidenschaft zogen. Warum sollte sein eigener Organismus anders reagieren?
    Als er die Augen wieder öffnete, stieg gerade ein Polizist aus dem Streifenwagen. Ein Mann in Zivil folgte ihm. Und jetzt verstand Freire auch, warum der Arzt am Telefon so irritiert gewirkt hatte. Der Patient, der sein Gedächtnis verloren hatte, erwies sich als wahrer Koloss. Er maß eins neunzig und würde gut und gern seine hundertdreißig Kilo auf die Waage bringen. Auf dem Kopf trug er einen echten texanischen Stetson, seine Füße steckten in Westernstiefeln aus Echsenleder. In seinem dunkelgrauen Mantel wirkte er unglaublich wuchtig. Er hatte eine Plastiktüte und einen prall mit Papieren gefüllten Umschlag bei sich.
    Der Polizist wollte seinen Passagier begleiten, doch Freire machte ihm ein Zeichen, stehen zu bleiben. Langsam ging er auf den Cowboy zu. Der Schmerz hinter seinem Auge verstärkte sich mit jedem Schritt; ein Muskel im Augenwinkel begann zu zucken.
    »Guten Abend«, grüßte er freundlich.
    Der Mann antwortete nicht. Bewegungslos stand er im dunstigen Lichtkreis einer Laterne. Freire wandte sich an den Polizisten, der einsatzbereit mit der Hand in der Nähe des Pistolenhalfters wartete.
    »Schon gut. Wir kommen klar.«
    »Brauchen Sie keine Informationen über ihn?«
    »Schicken Sie mir gleich morgen früh den amtlichen Bericht.«
    Der Beamte nickte, drehte sich um und stieg in den Streifenwagen, der rasch vom Nebel verschluckt wurde.
    Die beiden Männer standen einander nur durch ein paar Dunstfetzen getrennt gegenüber.
    »Mein Name ist Mathias Freire«, stellte der Arzt sich schließlich vor. »Ich habe heute hier in der Klinik Nachtdienst.«
    »Werden Sie sich um mich kümmern?«
    Die tiefe Stimme klang wie erloschen. Freire konnte die unter dem Stetson verborgenen Züge des Mannes kaum erkennen. Der Patient schien einem der Riesen zu ähneln, wie man sie aus Zeichentrickfilmen kennt – Himmelfahrtsnase, breiter Mund, schweres Kinn.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Ich brauche Hilfe.«
    »Würden Sie mir bitte folgen?«
    Der Mann bewegte sich nicht.
    »Kommen Sie mit«, sagte Freire und streckte den Arm aus. »Wir werden Ihnen helfen.«
    Der Mann wich
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