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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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mitgenommen.«
    »Marco Rossi«, sagt er, ihr die Hand reichend, »sehr angenehm.«
    Sie sieht ihn einen Moment lang prüfend unter ihrer Kappe hervor an, dann dreht sie sich um, startet, legt den Gang ein, grüßt die Karabinieri mit erhobenem Mittelfinger, und schon kurven wir, hügelaufwärts, hügelabwärts, die Straße zurück, die wir gekommen sind.
    »Wohin willst du denn?«
    »Das wirst du gleich sehen.«
    Ich sehe links von uns einen Feldweg, sehe die Panzerfahrerin das Steuer herumwerfen, den Hang hinunter sausen, den gegenüberliegenden Hang wieder hinauffahren, den Grat entlang rasen, wieder einen Hang hinunter brausen, wieder einen hinauf, wobei sich der Allradantrieb in voller Aktion aufs Beeindruckendste bewährt. Am meisten erschrocken scheint der arme, von Sicherheitsgurt zu Sitz hin und her geschleuderte Rossi zu sein, der sich die Schulter massiert und protestiert: »Aber wohin fahren wir denn, da geht's doch wieder zurück, ich muss doch nach Macerata zu meinem Cousin, wir haben uns verfahren, das ist die falsche Richtung, Signorina, Signorina!«
    Endlich hält sie oben auf einem Berg an, springt heraus, zieht ein Fernglas hervor, äugt nach allen Seiten, Marschall Rommel an der Spitze seiner Kolonne. Rossi schafft es gerade noch, sich umzudrehen, sich von mir seine Sporttasche reichen zu lassen, sie sich auf die Knie zu stellen, als der Feldmarschall auch schon in den Panzer zurückklettert und wieder Fahrt aufnimmt. Sturzflug zwischen den Weinbergen hinunter, steiniges Bachbett, Zickzack zwischen Olivenbäumen, ein Wäldchen, eine Ebene, ein Rapsfeld, schlammiger Teich, Klee, Stoppeln, eine kleine Schafherde. Wo zum Teufel sind wir?
    »Ich will einfach nur die Aufstellung der Karabinieri umgehen«, sagt die Furchtlose am Lenkrad.
    »Aber wozu, wohin willst du denn?«
    »Meine Reportage machen.«
    »Aber entschuldige mal, was ist das denn für eine Reportage?«
    »Wenn ich dir das sage, fängst du doch bloß an zu wimmern.«
    Jetzt verstehe ich: Das ist die klassische Flucht nach vorn, gegen die Migliarini sich immer kategorisch ausgesprochen hat. (»Besser die Flucht nach hinten, Slucca, das ist gar kein Vergleich. Im ersten Augenblick macht das vielleicht einen schlechten Eindruck, aber auf die Dauer zahlt es sich aus. Die Flucht nach vorn führt bloß zu Wand gegen Wand, aber dann unvermeidlich zu einem Schritt zurück, und das ist ganz schlecht für das Image. Aber wenn du ihn schon vorher gemacht hast, den Schritt zurück, ja, vorausblickend schon sechs oder sieben Schritte, dann bist du in der absolut besseren Position, alle kommen zu dir und beschwören dich, den Dialog wiederaufzunehmen, kapierst du, was ich meine, Slucca?«)
    Ich habe es kapiert, aber anwenden kann ich es nicht, hier, mitten in diesem ständigen Auf und Ab durch das Gelände, wo man nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist.
    »Aber Sie, Signorina«, fragt der Neapolitaner mit durch die Holperei gebrochener Stimme, »Signorina, wohin wollen Sie eigentlich?« Er scheint wirklich besorgt zu sein, nervös zieht er ein Stück weit den Reißverschluss seiner Sporttasche auf, schließt ihn wieder, zieht ihn von neuem auf, schließt ihn wieder.
    »Fass mal in meine Tasche«, befiehlt ihm die Fahrerin, »nein, nicht in die da, tiefer, die Tasche da unten, an der Wade, ja, so ist's recht, zieh die Antenne raus, genau, prima, drück auf das rote Knöpfchen.«
    Es ist ein batteriebetriebener Minifernseher, und auf dem winzigen Bildschirm erscheinen unter Streifen und anderen Störungen zwei unscharfe Sänger mit Gitarre.
    »Los, such, beweg dein Fingerchen, da, dreh an dem Rädchen.«
    Der Ton ist schlecht, und ganz schlecht ist eine Reihe knisternder Werbespots zu sehen, eine Prämienspielshow, ein Interview mit einem Stadtrat wer weiß welcher Stadt, ein Crossradrennen.
    »Müssen wir da hin?« fragt der Neapolitaner. »Das Rennen filmen?«
    »Nein, beweg dein Fingerchen.«
    Aber es ist nichts zu sehen, und die beiden eröffnen einen Dialog über das Fernsehen. Es gibt wenig Berichterstattung, sagt sie, Reportagen werden immer benachteiligt. Und die wenigen, brummt der andere, sind eine Schweinerei, nie wird berichtet, wie die Dinge sich wirklich abgespielt haben. Die Journalistin empört sich, sie berichtet in ihren Reportagen alles ganz genau, es ist nicht ihre Schuld, wenn man ihr in der Redaktion dann vieles wegschneidet. Es ist alles so unprofessionell, erwidert der Neapolitaner, die wichtigen Umstände fehlen immer, nie
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