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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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eine Anthropologin am Amazonas und mit einer Baseballkappe auf den blonden Locken, in drei Sätzen zu meinem Wagenfenster springt und mit flehenden Blicken hineinspäht. »Du bist es, Slucca, Schätzchen!« ruft sie. »Gott sei Dank, dass du gekommen bist, die wollen mich hier nicht durchlassen!«
    Sie zieht meinen Kopf heraus und küsst mich auf beide Backen.
    »Erkläre doch du ihnen, dass ich nur meine Arbeit mache!«
    Es ist die rasende Fernsehreporterin, die Wunderknüllerlady, die Tigerin des Gott sei Dank, Lauretta die Hyäne.
    »Hilf du mir, Slucca, zeig ihnen, wer du bist.« Alle, angefangen bei Migliarini, sprechen immer vom Primat der Politik, aber es ist ein Primat, das aus irgendeinem Grund nie bis zu mir durchkommt. Wie ich vorausgesehen habe, besteht der Karabinierehauptmann darauf, dass niemand durchgelassen wird, nicht einmal ich, Onorevole Aldo Slucca. Warum? So lautet der Befehl. Aber was für ein Befehl denn? Bis auf weiteres niemanden durchzulassen. Aber aus welchem Grund, was ist denn los? Er schüttelt den Kopf. Drogen? Waldbrand? Eine Entführung? Ein Blitzbesuch des Präsidenten der Republik? Es ist sinnlos. Er schweigt wie ein (englischer) Untersuchungsrichter.
    Ich für mein Teil hätte mich ja darein gefügt, aber die Fernsehreporterin hat nicht mitgemacht. Was soll denn das, ein Parlamentarier fährt, wohin er will, auch er hat gewissermaßen seine Befehle zu befolgen, unaufschiebbare Pflichten auszuführen, nicht wahr, Slucca, du bist doch in einer delikaten Mission unterwegs? Ich habe sie über die Mission Müllhalde informiert, was, so in Worte gefasst, recht hübsch und symbolisch klang, aber eigentlich nicht besonders delikat, und in der Tat blieb der Hauptmann völlig ungerührt. Aber gewissermaßen, hat die Hyäne wieder angefangen, handelt es sich doch immerhin um Giacomo Leopardi, nicht einmal dem Namen Leopardi wollen Sie Respekt zollen! Sie hat den Karabiniere gezwungen, das Kommando anzurufen, den Fall zu erklären, eine Sondererlaubnis, eine Derogation zu verlangen. Antwort vom Kommando: »Keinerlei Derogation.« Aber wenn doch ganz Italien, kreischte sie, gewissermaßen eine Derogation ist, alles und jedes wird doch mit Derogation gemacht, in Rom gibt es sogar die Kirche San Pietro in Derogatio! Der Hauptmann drehte sich auf dem Absatz um, und sie beugte sich, Schimpfwörter zischend, wieder zu meinem Wagenfenster; ich war die ganze Zeit über ruhig sitzen geblieben.
    »Also, Slucca, was gedenkst du zu tun? Kehrst du um? Ergibst du dich diesem Wand gegen Wand?«
    Ein wahres Wand gegen Wand habe ich in Italien selten gesehen, es ist immer eher Kaugummi gegen Creme Caramel, Gorgonzola gegen Mascarpone. Aber hier schien es mir doch recht ausweglos zu sein, der Dialog war nicht zu eröffnen.
    »Und du, wie kommst du eigentlich hierher?« fragte ich sie, um die Polemik ein bisschen zu dämpfen.
    »Ich muss eine Reportage machen«, sagt sie mürrisch. »Seit heute Morgen um neun bin ich schon unterwegs, und jetzt, da siehst du's ...«
    Plötzlich schmilzt ihre verdrießliche Miene zu einem engelhaften Lächeln, das wunderbar unter die Krone ihrer Goldlöckchen passt. »Warte einen Augenblick, Slucca, Schätzchen.« Sie läuft davon, zu einem an der Straßenböschung geparkten Panda, wo einer ihrer weißen Träger steht. Sie reden kurz miteinander, sie lässt sich eine große Tasche herausreichen und kommt munter strahlend zu mir zurück. »Kannst du einen Geländewagen im Gelände fahren, Slucca?«
    »Nein, den Wagen hat mir Vasone geliehen, und es ist ja sowieso nicht ...«
    »Ah, der gehört Vasone! Gut! Sehr gut!« Gott weiß, was zwischen denen gewesen ist, lassen wir das lieber auf sich beruhen. »Steig aus, Slucca, los, sei ein braver Junge!«
    »Wie, steig aus?«
    »Ich meine, mach den Fahrersitz frei, ich fahre.« Sie gab mir ein Küsschen auf die Nase.
    »Los, auf jetzt, Slucca, sei doch nicht so zickig, in Sarajewo habe ich sogar einmal einen Panzer gefahren, lass mich machen, hab Vertrauen.«
    Den Einladungen von Frauen (den wenigen) habe ich nie widerstehen können, und so überlasse ich ihr das Lenkrad, steige hinten ein und setze mich zu den beiden Sporttaschen, der des Neapolitaners und ihrer. Der Neapolitaner hat sich inzwischen die Jacke ausgezogen, völlig durchgeschwitzt klebt ihm das Polohemd am Leib. Auch seine Stirn hätte einen Scheibenwischer nötig.
    »Ist das dein Taschenträger?« fragt sie.
    »Er hatte einen kleinen Unfall, ich habe ihn ein Stück
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