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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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sich um jemanden an der banlieue seiner Entourage handelt, der sich da ganz eigenständig etwas ausgedacht hat.
    Aber Vasone gefielen diese ständigen Nadelstiche überhaupt nicht. »Soll doch er der Ballon sein«, sagte er über Migliarini, »und ruhig so aufgeblasen, wie er will. Soll doch er den Blödsinn verantworten, den er mir in den Mund legen will.« Und so hat er uns verlassen, aber wir sind Freunde und Wohnungsgenossen geblieben. Jetzt ist er zweiter Sprecher von Onorevole Cirelli und als solcher damit beauftragt, die Dementis des ersten Sprechers zu dementieren. Eine delikate Aufgabe, gibt er als erster zu, aber immer noch besser, als, wie ich, ganz Italien rauf und runter zu pesen und Kinderhorte und Wochen des Straußenbratens zu eröffnen. Er bewegt sich praktisch nie aus Rom heraus, und die Kilometer von Monteverde Nuovo zum Montecitorio und zurück geht er zu Fuß und hält sich so in bester Form. »Das einzige Ergebnis, das ich in nächster Zukunft für dich sehe, Slucca«, sagt er mir voraus, »ist ein Bandscheibenvorfall. Du sitzt zu viel, im Auto, im Zug, im Flugzeug, du bist völlig unbeweglich, du bist steif, binnen kurzem wirst du dich an den Hauspflegedienst wenden müssen, um dir die Schuhe zubinden zu lassen.«
    »Abgesehen davon, dass ich nur Mokassins trage«, erwidere ich. »Und während du hier in diesem Sumpf hockst, bewege ich mich im Territorium, ich beobachte, mache Entdeckungen, habe ständig Kontakt zur Bevölkerung, versuche, den Gap zu verringern, den Dialog zu beleben.«
    So wenigstens stellte Migliarini es dar, als er mich in die Marken schickte, um die Wiederbepflanzung einer zugeschütteten Müllhalde dreiundzwanzig Kilometer vor Recanati einzuweihen. »Das ist ein bewegendes Ereignis, Slucca. Wo vorher nur ein Berg stinkender Abfalle war, werden ab morgen alle Pflanzen wachsen, die unser Dichter Giacomo Leopardi so geliebt hat, in pritnis der Ginster, und dann andere Ziersträucher, Rosen, Lavendel.«
    »Aber gibt es da nicht noch giftige Ausdünstungen?«
    »Das hoffe ich doch, Ausdünstungen müssen sein, die sind nötig, um den Qualitätssprung zu unterstreichen, den irreversiblen Schritt von der Fäulnis zur Gesundung. Es wird eine Zeremonie von hoher symbolischer Leuchtkraft sein.«
    »Aber wenn mir plötzlich übel wird?«
    »Fahr unbesorgt, Slucca, die vom Zivilschutz geben dir eine Atemmaske.«
    Aber mit meinem Croma TD Baujahr '92 konnte ich ganz und gar nicht unbesorgt fahren. Er hat jetzt hundertachtzigtausend Kilometer drauf und fängt an, beunruhigende Zeichen der Auflösung, wenn nicht gar des Zusammenbruchs zu geben. Daher hielt ich es für klüger, Vasone zu bitten, mir seinen japanischen Geländewagen zu leihen, der in der Garage steht und den er nie benutzt. Er sagt, er habe ihn für seine Tochter gekauft, die sich jetzt jemanden zugelegt hat, nach Brüssel gezogen ist und nur Fahrrad fährt, weil der Typ eine Umweltverschmutzungsphobie hat.
    »Nimm ihn ruhig«, sagt Vasone, »es ist gut, wenn jemand ihn ab und zu die Umwelt verschmutzen führt, Autos sind wie Hunde. Aber kannst du überhaupt einen Geländewagen fahren, Slucca?«
    »Nein, aber ich sehe keinen Grund, überhaupt ins Gelände zu fahren. Wo ich hin muss, ist immer alles asphaltiert, ja, eine ganze Menge Asphalt habe ich schließlich persönlich eingeweiht: Autobahnauffahrten, Umgehungsstraßen, Kreisverkehrsplätze, wo unsere Jugend herumhängen kann.«
    »Die Schlüssel sind in der Garage«, sagt Vasone. »Wann fährst du los?«
    »Sie erwarten mich zum Abendessen, ich übernachte dort, und morgen früh bin ich ausgeschlafen und frisch für die Müllhalde.«
    Vasone hielt sich Nase und Mund zu, als wäre Rom mit seinen Politikern ein Gewächshaus voller Kamelien. Ihn lässt der Gap völlig kalt. »Alles Quatsch«, ist seine Meinung dazu. »Die haben uns schließlich gewählt, also vertreten wir sie, und basta.« Ein Zyniker. Und in Bezug auf den Dialog sagt er, es sei schon viel, wenn er es schaffe, einen mit sich selbst zu führen, so langweilig findet er seine Sprüche, geschweige denn die der anderen.
    Sein Geländewagen ist schwarz, glänzend, wie frisch aus der Fabrik gekommen. Ich setze mich ans Steuer, und nach zehn Minuten habe ich mich schon daran gewöhnt. Gleich nach Rom halte ich zum Volltanken an einer Zapfsäule und nütze die Gelegenheit, den Dialog mit dem Tankwart zu suchen, einem brummigen Alten, der offenbar mit dem Gang seiner Geschäfte nicht zufrieden ist. »Diese
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