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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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Schweine«, wiederholt er dunkel, »diese Verbrecher.« Der Standpunkt unserer Partei zum Problem des Benzinpreises ist nicht besonders klar, vielleicht haben wir gar keinen, und daher versuche ich mit dieser improvisierten kleinen Meinungsforschung herauszufinden, ob er auf die Autofahrer, die Ölgesellschaften, die Straßenbanditen und Einbrecher, die Verkehrspolizei oder auf wen sonst sauer ist. »Diese gemeinen Arschlöcher, diese Blutsauger«, präzisiert er schließlich, »die massakrieren uns mit ihren Steuern.«
    Ein stures Vorurteil, eine unbezwingbare altkörperschaftliche Sichtweise, bei der es sinnlos ist, in einen Dialog einzutreten. Ich gebe mich verständlicherweise nicht zu erkennen, fahre weiter und lasse den Gap, wie er ist. Nach einer Stunde halte ich an der letzten Raststätte vor meiner Autobahnausfahrt, um einen Kaffee zu trinken. Die Gaststätte ist eigentlich ein Minimarket mit dem üblichen Zwangsparcours zwischen Regalen mit Keksen, Spielzeug, Wurstwaren, Wein, Parfümerieflakons hindurch, aber auch hier scheinen die Geschäfte die Frau hinter der Theke nicht zu begeistern. »Wir leben jetzt zu dritt«, seufzt sie, als ich einen Dialog vom Zaun breche. »Ich, mein Mann und der Buchhalter.« Einen Augenblick lang bin ich sprachlos angesichts der Vorstellung dieses halb ländlichen menage a trois, eigentlich ist die Frau nichts Besonderes, irgendwie sehe ich sie nicht in dieser Rolle. Aber sie klärt mich auf »Die nehmen eine Steuer zurück und schenken dir dafür zwei andere, wie bei den Waschmitteltonnen. Aber wissen Sie, dass wir mehr als hundert Fälligkeitstermine im Jahr haben? Sogar der Buchhalter schafft es kaum, da durchzublicken. Nein, so kann es nicht weitergehen!«
    Steuern, Steuern, Steuern, sie haben nichts anderes im Kopf Es ist eine aprioristische Konfliktlage, die auch die Evidenz leugnet und damit Migliarinis berühmtes Paradox bestätigt: »Das Paradox, Slucca, besteht darin, dass sie selbst, wenn wir, einmal rein hypothetisch angenommen, die Steuern senken würden, es nicht glauben könnten. Sie sind auf alle Fälle überzeugt, dass die Steuern immer steigen, das ist ein Glaubenssatz. Und daher können wir sie ja gleich wirklich erhöhen, verstehst du?« Sein Rat ist völlig klar: »Mit der eingefleischten Irrationalität ist der Dialog nicht möglich. Sobald die Rede auf die Steuern kommt, eröffnen die das Feuer, gnadenlos, Slucca. Über diesen Punkt musst du jeder direkten Auseinandersetzung ausweichen.«
    Ich bin ausgewichen, setzte mich wieder ans Lenkrad, fuhr auf die Landstraße. Der Immobilist Vasone weiß ja nicht, was er verpasst. Trotz der Erdrutsche, Überschwemmungen, Waldbrände und so weiter bleibt das Territorium wunderbar, der Dialog mit der Landschaft, mit der Natur steht uns immer offen.
    Der Verkehr ist zum Glück spärlich. In einer Kurve, als ich zwischen zwei Hügeln hinunterfahre, sehe ich unten auf einem ausgefahrenen Feldweg einen weißen Kleintransporter zwischen den Olivenbäumen stehen. Unter lebhaftem Winken mit der Rechten läuft ein Mann auf mich zu (in der Linken hält er eine Sporttasche). Er erklärt mir, dass er aus der Kurve getragen wurde und gerade noch in diesen Feldweg einbiegen konnte, aber jetzt springe sein Lieferwagen nicht mehr an, ob ich ihn wohl ein Stück mitnehmen könne?
    Er ist um die Vierzig, kräftig, trägt eine kurze, ziemlich schmierige, aber einstmals anständige Lederjacke, Jeans, Polohemd, und er hat das Gesicht eines Händlers, der auf Provinzmärkten herumzieht. Breites Lächeln, geläufiges Mundwerk, schlauer Blick. Ich sage ihm, er solle einsteigen, und er wirft seine Tasche auf den Rücksitz und setzt sich neben mich.
    »Sicherheitsgurt.«
    »Ach, ja, Entschuldigung.«
    Korrekt, höflich. Er stellt sich vor: Er ist Neapolitaner, heißt Mario Rossi. Er bemerkt meine versteckte Überraschung, lächelt: »Wissen Sie, Herr Doktor, in Neapel heißen nicht alle Domenico Esposito, auch bei uns gibt es jede Menge Rossi und Bianchi.«
    Witzig. Ich sage ihm, wer ich bin, und er tut nicht so, als würde er mich kennen, als hätte er mich schon gesehen oder meinen Namen gehört. Keine Schmeicheleien, aber er ist ganz begeistert von unserer Begegnung. »Ein Abgeordneter, Mann! Und dazu noch im Wagen eines anderen Abgeordneten!« Er reibt sich die Hände, teilt mir mit, dass ich nicht der erste Parlamentarier in seinem Leben sei, er habe bereits einen persönlichen Austausch mit einer meiner Kolleginnen gehabt, Minima
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