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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch
Autoren: J. G. Ballard
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alten Mann zurück, aber der Wagen war schon da und sauste in einem Wirbel von Staub über die Verkehrsinsel.
     Das Krankenhaus war fast leer. Während der ersten Tage war Conrad zufrieden damit, bewegungslos in der verlassenen Station zu liegen und die Muster zu betrachten, die durch die Schatten der Blumen auf dem Fenstersims an der Decke entstanden. In gewissen Abständen kam die Schwester und sah nach ihm. Einmal, als sie sich bückte, um den Bügel über seinen Beinen zurechtzurücken, bemerkte er, daß sie nicht mehr jung war, sondern älter als seine Tante, trotz ihrer schlanken Figur und der purpur getönten Haare. Tatsächlich waren alle Schwestern und Wärter, die ihn in dem leeren Krankenzimmer betreuten, schon älter und hielten offensichtlich Conrad mehr für ein Kind als für einen Jugendlichen von siebzehn Jahren. Sie alberten mit ihm herum, wenn sie durch das Zimmer kamen.
     Später, als der Schmerz an seinem amputierten Bein ihn scharf aus diesem ruhigen zweiten Schlaf riß, sah ihm Schwester Sadie endlich ins Gesicht. Sie erzählte ihm, daß seine Tante jeden Tag zu Besuch gekommen war und am nächsten Nachmittag wiederkommen würde.
     »… Theodore – Onkel Theodore…?« Conrad versuchte sich aufzurichten, aber ein unsichtbares Bein, so tot und schwer wie das eines Mastodons, hielt ihn am Bett fest »Mr. Foster… mein Onkel. Hat der Wagen…?«
     »Er hat ihn um ein paar Meter verfehlt. Oder sagen wir lieber Zentimeter.« Schwester Sadie berührte seine Stirn mit einer Hand, die sich kalt und feucht anfühlte. »Nur ein Kratzer am Handgelenk, wo er sich an der Scheibe schnitt. Meine Güte, das Glas, das wir aus euch beiden herausholten! Ihr saht aus, als wäret ihr durch ein Glashaus gesprungen.«
     Conrad zog seinen Kopf unter ihren Fingern weg. Er suchte die Reihe von leeren Betten im Zimmer ab. »Wo ist er? Hier…?«
     »Zu Hause. Ihre Tante pflegt ihn. Ihm wird es bald wieder bestens gehen.«
     Conrad lag da und wartete, daß Schwester Sadie ginge, damit er mit seinen Schmerzen und seinem verschwundenen Bein allein sein könnte. Der Schutzbügel über ihm sah aus wie ein weißer Berg. Merkwürdigerweise hatte die Nachricht, daß Onkel Theodore bei dem Unfall fast unverletzt davongekommen war, Conrad in keiner Weise beruhigt. Seit seinem fünften Lebensjahr, als er durch den Tod seiner Eltern bei einem Flugzeugunfall Waise wurde, war sein Verhältnis zu Tante und Onkel eher enger gewesen, als es zu Mutter und Vater gewesen wäre; ihre Liebe und Treue waren bewußter und beständiger. Und doch dachte er nicht an seinen Onkel, sondern an den ankommenden Sportwagen. Mit seinen scharfen Flossen und Verzierungen war er auf sie zugekommen, wie die Möwen sich auf die Schildkröten gestürzt hatten, mit der gleichen Brutalität. Während er unter dem Bügel im Bett lag, erinnerte Conrad sich an die Schildkröten, die unter ihren schweren Panzern schwerfällig über den nassen Sand krochen, und an die alten Männer, die in den Dünen auf sie warteten.
     Draußen spielten die Springbrunnen in den Gärten des leeren Krankenhauses, und die alten Schwestern spazierten zu zweit auf den schattigen Fußwegen.

    Am nächsten Tag kamen vor dem Besuch seiner Tante zwei Ärzte zu Conrad. Der ältere von den beiden, Dr. Nathan, war ein schlanker, grauhaariger Mann mit Händen, die so zart waren wie die Schwester Sadies. Conrad hatte ihn schon vorher gesehen und erinnerte sich an ihn aus den ersten verschwommenen Stunden bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Eine Andeutung eines Lächelns lag immer um Dr. Nathans Mund, wie der Geist eines vergessenen Scherzes.
     Der andere Arzt, Dr. Knight, war wesentlich jünger, er schien kaum viel älter als Conrad. Sein starkes, kantiges Gesicht sah auf Conrad herunter. Er griff nach Conrads Handgelenk, als wollte er den jungen Mann aus dem Bett reißen.
     »Das ist also der junge Foster?« Er sah Conrad in die Augen. »Nun, Conrad, ich will nicht fragen, wie Sie sich fühlen.«
     »Nein…« Conrad nickte unsicher.
     »Nein, was?« Dr. Knight lächelte Dr. Nathan zu, der am Fußende des Bettes stand. »Ich dachte, Dr. Nathan betreut Sie hier sehr gut.« Als Conrad etwas Unverständliches murmelte, um keine neuerliche Erwiderung herauszufordern, sprach Dr. Knight weiter: »Tut er das nicht? Immerhin, mich interessiert Ihre Zukunft mehr, Conrad. Ich übernehme jetzt den Fall von Dr. Nathan, also können Sie von jetzt ab mich für alles verantwortlich machen,
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