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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch
Autoren: J. G. Ballard
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erklärte Conrad ihm Dr. Knights Vorschlag. Sie saßen zusammen auf der Terrasse vor dem Krankenzimmer und schauten hinaus über die Springbrunnen des leeren Krankenhauses. Sein Onkel trug noch einen Schutzverband an der Hand, aber sonst hatte er den Unfall überwunden. Er hörte Conrad still an.
     »Von den alten Menschen kommt niemand mehr, sie bleiben zu Hause liegen, wenn sie krank werden und – warten aufs Ende. Dr. Knight sagt, es gibt keinen Grund, weshalb man nicht in vielen Fällen mit Hilfe der restaurativen Chirurgie das Leben mehr oder weniger unbegrenzt verlängern sollte.«
     »Eine Art Leben. Was meint er denn, wie du ihnen helfen könntest, Conrad?«
     »Nun, er glaubt, daß sie ein Beispiel brauchen, das Schule machen würde, ein Symbol, wenn man will. Jemand wie ich, der in seinen jungen Jahren bei einem Unfall schwer verletzt worden ist, könnte den Leuten den Segen der restaurativen Chirurgie vor Augen führen.«
     »Die zwei Fälle sind kaum vergleichbar«, sagte sein Onkel nachdenklich. »Aber… Wie denkst du selbst darüber?«
     »Dr. Knight war völlig offen. Er erzählte mir von den frühen Fällen, bei denen Patienten, die neue Organe oder Gliedmaßen bekommen hatten, buchstäblich auseinanderfielen, wenn die Nähte nicht verheilten. Ich glaube, er hat recht. Das Leben sollte erhalten werden – man würde einem sterbenden Menschen helfen, wenn man ihn auf der Straße fände, warum nicht auch sonst? Weil Krebs oder Bronchitis nicht so dramatisch sind…«
     »Ich verstehe das, Conrad.« Sein Onkel hob die Hand. »Aber was glaubt er, warum ältere Menschen die Operationen ablehnen?«
     »Er gibt zu, daß er es nicht weiß. Er hat das Gefühl, weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt, beherrschen die alten Leute immer mehr die Gesellschaft und bestimmen ihre Einstellung. Statt von einer Mehrheit von jüngeren Menschen umgeben zu sein, sehen sie nur alte wie sie selbst. Der einzige Ausweg ist der Tod.«
     »Das ist eine Theorie. Etwas anderes – er will dir das Bein des Fahrers geben, der uns umgefahren hat. Das gibt der Sache eine makabre Note. Es kommt mir fast wie Leichenfledderei vor.«
     »Nein, das ist der entscheidende Punkt – er will sagen, wenn das Bein erst einmal eingepflanzt ist, wird es ein Teil von mir.« Conrad zeigte auf den Verband seines Onkels. »Onkel Theodore, diese Hand. Du hast zwei deiner Finger verloren. Dr. Knight hat es mir erzählt. Willst du sie dir ersetzen lassen?«
     Sein Onkel lachte. »Versuchst du etwa, mich als ersten zu bekehren, Conrad?«
     Zwei Monate später ging Conrad wieder in das Krankenhaus, um die Operation ausführen zu lassen, auf die er während seiner Rekonvaleszenz gewartet hatte. Am Tage davor begleitete er seinen Onkel zu einem kurzen Besuch bei Bekannten, die in den Pensionärsheimen im Nordwesten der Stadt wohnten. Diese netten einstöckigen Gebäude im Chalet stil, die von den städtischen Behörden gebaut und zu niedrigen Mietsätzen an die Bewohner vermietet wurden, bildeten einen beträchtlichen Teil des Stadtgebietes. In den drei Wochen, in denen er zu Hause gewesen war, hatte Conrad, wie ihm schien, jedes einzelne Haus besucht. Das künstliche Bein, das man ihm angepaßt hatte, war keineswegs bequem, aber auf Dr. Knights Bitten hatte der Onkel Conrad zu allen seinen Bekannten mitgenommen.
     Obgleich, es Zweck dieser Besuche war, Conrad möglichst vielen allen Einwohnern bekannt zu machen, bevor er ins Krankenhaus zurückkehrte – der Hauptteil der Bekehrung würde erst später kommen, wenn das neue Bein angewachsen sein würde –, hatte Conrad schon jetzt seine Zweifel, ob Dr. Knights Plan erfolgreich sein würde. Conrads Gegenwart rief bei den Bewohnern der Wohnheime und Bungalows keineswegs Ablehnung hervor, sondern nur Mitgefühl und Wohlwollen. Wo er sich sehen ließ, kamen die alten Leute an die Gartenpforte und sprachen mit ihm und wünschten ihm alles Gute für seine Operation. Manchmal, wenn er das Lächeln und die Grüße erwiderte und grauhaarige Männer und Frauen auf allen Seiten von den Balkonen und Gärten zusahen, hatte Conrad das Gefühl, als wäre er der einzige junge Mensch in der ganzen Stadt.
     »Onkel, wie erklärst du das Paradoxon?« fragte er, als sie miteinander ihre Runde machten, wobei Conrad sein Gewicht auf zwei stabile Spazierstöcke stützte. »Sie wünschen mir ein neues Bein, aber sie selbst gehen nicht ins Krankenhaus.«
     »Aber du bist jung, Konrad, fast noch ein Kind
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