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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg
Autoren: Agatha Christie
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geleistet. Ja, von Betterton bin ich enttäuscht.«
    »Aber machen Sie diese Erfahrung nicht immer wieder? Die Menschen sind hier doch praktisch eingesperrt. Sie lehnen sich innerlich dagegen auf. Zu Anfang jedenfalls!«
    »Gewiss«, gab Monsieur Aristides zu, »das ist natürlich und unvermeidlich. Es ist die Geschichte vom Vogel im Käfig. Aber wenn der Vogel eine genügend große Voliere bekommt und darin alles findet, was er braucht, einen Gefährten, Körner, Wasser, Astwerk, jede äußere Bequemlichkeit, dann vergisst er schließlich, dass er jemals in Freiheit gelebt hat.«
    Sylvia schauderte zusammen. »Ich habe Angst vor Ihnen«, sagte sie, »wirklich und wahrhaftig.«
    »Mit der Zeit werden Sie schon noch alles begreifen, Madame. Diese Männer hier mit all ihren verschiedenen Anschauungen und Zielen, die enttäuscht sind und voller Auflehnung, sie werden sich schließlich doch fügen.«
    »Seien Sie Ihrer Sache nicht so sicher«, bemerkte Sylvia.
    »Auf dieser Erde ist nichts gewiss. Das muss ich zugeben. Aber immerhin dürfen wir mit fünfundneunzig Prozent Sicherheit rechnen.«
    Sylvia musterte ihn mit Abneigung.
    »Es ist schrecklich«, sagte sie, »wie man sonst eine Kultur von Bazillen anlegt, so legen Sie hier eine Kultur von Gehirnzellen an.«
    »Genau das. Sie haben den richtigen Ausdruck dafür gefunden.«
    »Und Sie glauben, dass diese Gehirnzellenkultur Ihnen eines Tages großen Gewinn bringen wird?«
    »So ist es, Madame.«
    »Aber Sie können Gelehrte nicht anstellen, wie Sie eine Stenotypistin anstellen können.«
    »Warum denn nicht?«
    »Die Wissenschaftler könnten es ablehnen, sich von Ihnen irgendwohin verkaufen zu lassen.«
    »Das ist nur zum Teil richtig. Ich könnte seine Anpassung garantieren.«
    »Seine Anpassung – was soll das heißen?«
    »Haben Sie noch nie etwas von Leukotomie gehört, Madame?«
    Sylvia runzelte die Stirn. »Ist das nicht eine Gehirnoperation?«
    »Ganz richtig. Ursprünglich wurde sie gegen Schwermut angewandt. Ich will es Ihnen in einfachen Worten erklären, Madame, denn mit den wissenschaftlichen Ausdrücken können Sie und ich nichts anfangen. Nach dieser Operation hegt der Patient nicht mehr den Wunsch, sich das Leben zu nehmen, auch besitzt er keinerlei Schuldbewusstsein und Freiheitsdrang mehr. Er ist sorglos, gewissenlos und in den meisten Fällen fügsam.«
    »Aber diese Operation ist wohl nicht hundertprozentig erfolgreich?«
    »Früher war das nicht der Fall. Aber hier sind wir auf diesem Gebiet sehr viel weiter gekommen. Ich habe drei Chirurgen, einen Russen, einen Franzosen und einen Österreicher. Durch verschiedene Verpflanzungen und sonstige geschickte Manipulationen an den Gehirnzellen kann man den Patienten gefügig machen, ohne dass seine sonstigen Leistungen dadurch beeinträchtigt werden. Man kann es schließlich so weit bringen, dass ein menschliches Wesen im vollen Besitz seiner Verstandeskräfte bleibt, während man im Übrigen unbedingten Gehorsam von ihm fordern kann. Er wird alles tun, was man von ihm verlangt.«
    »Aber das ist ja fürchterlich!«, rief Sylvia.
    »Es ist zweckmäßig«, verbesserte er sie in ernstem Ton. »In gewisser Hinsicht ist es sogar eine Wohltat. Denn ein solcher Mensch fühlt sich glücklich und zufrieden und wird von keinerlei Ängsten und Sorgen mehr geplagt.«
    »Und ich glaube doch nicht daran«, sagte Sylvia herausfordernd.
    »Verzeihen Sie, chère Madame, wenn ich Sie in dieser Sache nicht für kompetent halte.«
    »Was ich glaube, ist Folgendes«, erklärte Sylvia. »Ich glaube nicht, dass ein ruhig gestelltes, gehorsames Tier schöpferische Arbeit leisten kann.«
    Aristides hob die Schultern.
    »Vielleicht. Sie sind sehr klug, aber Sie werden sehen. Die Zeit wird es lehren, denn die Versuche werden ständig fortgesetzt.«
    »Die Versuche! Sie meinen Experimente an menschlichen Wesen?«
    »Aber natürlich. Es ist die einzige erfolgreiche Methode.«
    »Aber an welcher Art von menschlichen Wesen werden diese Experimente ausgeführt?«
    »Es handelt sich um diejenigen, die sich an das Leben hier nicht gewöhnen und nicht tätig mitarbeiten wollen. Sie sind ideale Versuchsobjekte.«
    Sylvia vergrub ihre Hand in die Kissen des Diwans. Sie fühlte Abscheu vor diesem blassgelben, lächelnden Männchen mit seinen unmenschlichen Plänen. Dazu klang alles, was er sagte, so vernünftig, so logisch und so geschäftstüchtig, dass es dadurch noch schrecklicher wirkte. Hier saß sie keinem Wahnsinnigen gegenüber,
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