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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Respekt , wie sie ihm erklärten. Sie organisierten für ihn Extrazigaretten und Pornomagazine. Sie schafften es sogar, als er sie darum bat, ein Farbfoto von den Niagarafällen zu besorgen, das er über seinem Bett an die Wand klebte und manchmal stundenlang betrachtete. Erwusste, dass es in seinem Leben in den letzten Jahren an Wundern gefehlt hatte.
     
    Eines Tages sagte Michou im Hof, er sehe müde aus, wieso er nicht mal den anderen Stoff versuche, den wunderbaren Stoff, der einem alle Sorgen wegbläst?
    »Den ›wunderbaren Stoff‹?«
    »Genau. Shit. Eitsch. Crack. Egal. Sogar Schnee, wenn du damit zurechtkommst. Geht einfach. Ganz einfach.«
    »Und wie mache ich das?«, fragte Aramon.
    Michou sagte, auch das sei einfach. Die Deals fänden immer draußen statt. Bestimmte Wärter würden es »unterstützen«, weil sie so mickrig bezahlt wurden. Es sei so einfach wie furzen.
    Aramon erklärte Michou, er werde darüber nachdenken. In Wirklichkeit gab es jedoch nicht sehr viel nachzudenken. Denn genau das war es, wonach er sich verzehrte – wonach er sich fast sein ganzes umnachtetes Leben lang verzehrt hatte –, nach der Droge, die die Welt wunderbar aussehen ließ.
    Yusuf riet ihm ab, sich darauf einzulassen, ja überhaupt in die Nähe von diesem Zeug zu kommen. Es würde ihn in Fesseln legen, ihn zum Sklaven machen.
    Doch Aramon hatte schon davon zu träumen begonnen. Er schmiegte den Kopf in sein weiches Kissen, und vor seinem inneren Auge sah er eine Substanz von vollkommenem Weiß, die ihn endlich das fühlen ließ, was er vor langer Zeit, bevor Bernadette gestorben war, gefühlt hatte.
    Sie hatte es manchmal, besonders an Sommerabenden, Glück genannt.

S chnee fiel auf die verkohlten Reste von Mas Lunel.
    In ihren Gummistiefeln und dem alten roten Mantel stand Audrun allein in der weiten Landschaft und ertappte sich bei dem Wunsch, es möge immer weiter schneien, so lange, bis alle Konturen und scharfen Ecken des Gebäudes sich rundeten und das Mas sich nicht mehr von seiner Umgebung unterschied: nur noch ein kleinerer Haufen oder Hügel zwischen den größeren Hügeln war.
    Sie liebte dieses allumfassende Weiß. Selbst die raue Luft liebte sie.
    Und die Stille. Die mehr als alles andere.
     
    Als der Schnee schmolz und die Reste des Mas in all ihrer geschwärzten Hässlichkeit wieder auftauchten, ließ Audrun die Jalousien vor den Fenstern der Kate heruntergezogen und wagte sich auch kaum noch vor die Tür, so schrecklich war ihr die Nachbarschaft dieses Dings .
    Als sie merkte, dass sie sich schon wieder zur Gefangenen ihres Hasses machte, rief sie Raoul Molezon. Sie bot ihm Pastis an, den sie mit Käsegebäck servierte. Sie erklärte, sie hätte gern, dass er das Mas Lunel abriss.
    »Es abreißen? Und dann?«, sagte Raoul.
    Und dann?
    Ihr fiel ein, wie ihr Vater vor langer Zeit mit dem Verkauf der Steine geprahlt hatte, nachdem er die zwei Seitenflügel des Mas niedergerissen hatte.
    Und dann?
    »Dann ist es weg«, sagte sie. »Und das Land erholt sich wieder.«
    Raoul schwieg einen Moment. Audrun bemerkte, dass ihm ein paar Kekskrümel auf sein Schottenkarohemd gefallen waren.Männer, dachte sie. Sie sehen selten, wo etwas herunterfällt, verschüttet wird oder auch nur liegen bleibt. Sie rennen einfach weiter …
    »Ich habe eine bessere Idee«, sagte Raoul. »Mit dem Geld von der Versicherung könnte ich es für dich wieder aufbauen. Das würde zwar einige Zeit dauern, aber …«
    »Geld von der Versicherung!«, sagte Audrun. »Aramon sieht keinen Cent davon. Das verhindert das Gericht. Die Versicherungsleute werden doch nicht an einen Mörder zahlen, wenn sie nicht müssen! Wer sollte ihnen das verübeln?«
    Raoul nickte. Er trank seinen Pastis mit gesenktem Kopf. Das Wort »Mörder« schien ihn aus der Fassung gebracht zu haben.
    Nach einer Weile sagte Audrun: »Ich glaube, es ist besser, wenn das Haus weg ist, Raoul. Besser für mich. Besser für das Land. Könntest du nicht einfach mit einem Bulldozer kommen? Ich bezahle dich für die Arbeit. Und du kannst die Steine wiederverwenden.«
    Raoul schwieg wieder für einen Moment, dann sagte er: »Was möchte Aramon denn?«
    »Wenn man das wüsste«, sagte Audrun. »Aber das ist auch nicht wichtig. Aramon wird im Gefängnis sterben. Sie sagen, dass er dreißig Jahre bekommt. Er wird keinen Fuß mehr auf diesen Berghang setzen.«
     
    Ende Februar erschien Raoul mit seinen Abrissarbeitern. Die Tage waren grau und kalt.
    Audrun kochte Kaffee für die
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