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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle
Autoren: Heinrich Steinfest
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mir die Möglichkeit geben, zu tun, was auch immer ich tun wollte. Anzufassen, was ich anzufassen beliebte. Nicht, daß ich glaube, Grönländer wären bessere Menschen, schon gar nicht, wenn sie eigentlich Dänen sind. Aber sie besitzen ein gesundes Desinteresse an den Dingen. Sie halten ihre Insel, die ein Kontinent ist, für den einzig sauberen Ort der Welt. Und wenn man eine Landkarte betrachtet, muß man ihnen eigentlich recht geben.
    Ich hatte also die Zeit und die Möglichkeit, die Leichen genau zu überprüfen. Und so entdeckte ich zwischen den Knien Bobecks, vom Schnee verdeckt, jenes Buch, das Reisiger als den Aufbewahrungsort der Restmenge an Regina genannt hatte. Ich nahm es an mich, steckte es ein, ohne auch nur einen Gedanken an die Rechtmäßigkeit meines Handelns zu verschwenden. Was mich nachträglich in großes Erstaunen versetzt. Wozu man imstande ist. Inklusive, daß ich die Reisigersche Notiz ebenfalls in einer meiner Taschen verwahrte.
    Als ich später in den Flieger stieg, der mich zurück nach Saint John’s brachte, packte mich das schlechte Gewissen, ich wandte mich zu Kolding um und fragte ihn, warum er den Zettel nicht zurückverlangt habe.
    »Welchen Zettel?« fragte Kolding und blickte mich an, als sei ich einer von denen, die alles und jedes durcheinanderbringen. Als ich dann kurz darauf seinen Bericht las, stellte ich fest, daß Kolding mit keinem Wort die Notiz erwähnte, die Reisiger hinterlassen hatte. Statt dessen beschrieb er in einer Ausführlichkeit und Ernsthaftigkeit, die einem ein großes Vergnügen bereiten konnte, die genaue Lage und Beschaffenheit der Gummiente, die ja im Gegensatz zu den drei Toten in Grönland verblieb. Als wollten die Grönländer nur das Wahre und Schöne behalten.
    Wie Sie wissen, Herr Marcuse, haben die kanadischen Behörden noch eine ganze Weile benötigt, die wahre Identität Jakobsens und der Frau festzustellen. Woraus Sie schließen können, daß ich nach meiner Rückkehr aus Grönland wesentliche Informationen zurückhielt.
    Indem ich Ihnen dieses nun gestehe, begebe ich mich in Ihre Hände. Das kann mich meine Karriere und meine Ehre kosten. Aber so muß es wohl sein. Wobei ich nicht sagen kann, was mich angetrieben hat, zu tun, was ich tat. Moralischer Eifer? Visionäre Vernunft? Bloße Dummheit? So hieß übrigens das Buch, in dem sich die Droge befand: Untersuchungen über die Dummheit . Ein wenig war mir dieser Titel auch Wegweiser. Erstens darin, es nicht zu öffnen, nicht nachzusehen, wieviel von dem Regina und was sonst noch sich darin befand. Und zweitens, indem ich diese Dummheit vernichtete. Ja, ich habe das Buch, zusammen mit seinem Inhalt verbrannt. Wie auch Reisigers Niederschrift. Man muß die Dinge verbrennen, will man sie zerstören. Also nicht vergraben oder versenken. Nichts Halbes tun. Nichts, woraus sich irgendeine dumme Fortsetzung ergibt.
    Vielleicht habe ich auf diese Weise die Welt vor ihrem Unglück bewahrt. Oder aber vor ihrem Glück, dem größten, welches ihr je beschieden gewesen wäre. Wahrscheinlicher aber sind uns allen bloß ein paar komplizierte Staatsaktionen erspart geblieben.
    Selbstverständlich haben die merkwürdigen Brandverletzungen eine eingehende Obduktion nach sich gezogen. Erst recht, als endlich herauskam, wer Dr. Jakobsen wirklich gewesen war. Ein Grund mehr, daß Ihr Land auf die rasche Überführung der drei Leichname bestand, wobei der Korpus des Herrn Reisiger natürlich eine weit geringere Rolle spielte.
    Über das Ergebnis der Obduktion ließ man mich im unklaren. Der Fall erhielt nun endgültig eine Priorität, in der die Beteiligung eines kleinen Kriminalbeamten als verzichtbar qualifiziert wurde. Man signalisierte mir, den Tod Lichfields unabhängig von Reisigers Zeugenschaft zu bewerten. Und freundlicherweise zu vergessen, je in Grönland gewesen zu sein. Eine Bitte, der ich gerne nachkam.
    Natürlich befanden und befinden sich noch immer eine Menge Menschen auf der Suche nach dem verbliebenen Regina . Sollten Sie, Herr Marcuse, ebenfalls mit einer solchen Suche beauftragt sein, so wissen Sie jetzt, daß es sich nicht lohnt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich mit dem privaten Wissen um die Wahrheit zufriedenzugeben. Sollten Sie freilich gegen mich vorgehen wollen … bitteschön. Aber ich glaube kaum, daß Sie etwas Derartiges vorhaben, Herr Marcuse. Nicht bei einem Mann, der einen solchen Namen trägt.
    Das wäre alles.
    Mit Gruß
    David Cassini
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