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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle
Autoren: Heinrich Steinfest
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obgleich es sich dabei um einen höchst unsachlichen Grund meiner Vorgangsweise handelt. Unsachlich, jedoch ausschlaggebend. Auch so etwas kommt vor. Es ist Ihr Name: Marcuse. Seit meiner Studienzeit bin ich ein begeisterter Leser der Bücher Ludwig Marcuses, ich halte sein Mein zwanzigstes Jahrhundert , seine Werke über Heine, über Freud und vor allem Wagner für so ziemlich das einmaligste … Lassen wir das. Keine Ausschweifungen und Schwärmereien. Es ist schwärmerisch genug, daß ich auf Grund dieser Namensgleichheit ein gewisses Vertrauen zu Ihnen gefaßt habe. Schwärmerisch, aber nicht völlig irrational, da Ihr Name Sie verpflichtet. Man kann nicht mit einem solchen Namen ausgestattet sein, um sich sodann verantwortungslos zu benehmen und eine Indiskretion zu begehen. Was ich Ihnen also zu besagtem Fall mitteile, soll nicht an die Öffentlichkeit gelangen oder zu einer neuen Untersuchung führen, solange dies nicht auf anderem, von den zuständigen Stellen sanktioniertem Wege ohnedies geschieht. Sind Sie aber nicht bereit, meiner Bitte zu entsprechen, so möchte ich Sie bei Ihrer Ehre packen, der Ehre Ihres Namens, und Sie ersuchen, an dieser Stelle abzubrechen und mein Schreiben zu vernichten.
    Nun gut, Ihr Einverständnis zu meinen Bedingungen voraussetzend, werde ich jetzt beginnen. Wie Sie wissen, wurde ich damit beauftragt, den Fall des verstorbenen Aleister Lichfield zu untersuchen. Ein Fall, der seine Bedeutung nicht nur der Prominenz des Toten verdankt, sondern auch dem Umstand, daß einerseits seine Leiche zusammen mit der Bohrplattform Barbara’s Island im kanadischen Territorium der Grand Banks versunken war und andererseits ausgerechnet jener Zeuge, der den Tod Lichfields als Unfall bestätigt hatte, in Folge der Katastrophe als vermißt galt. Die Identität dieses Zeugen, Leo Reisiger, führte dazu, daß wir uns an die deutschen Behörden wandten, um mit einigem Erstaunen zu hören, daß es sich bei diesem Mann um einen Überlebenden der Bobeck-Affäre handeln würde. Daß so jemand nun ausgerechnet als die einzige Person feststand, die den Unfalltod eines legendären Ölmagnaten beobachtet hatte, erschien uns zumindest bemerkenswert. Es versteht sich, daß wir ein großes Bedürfnis verspürten, uns mit diesem Mann, wenn er denn noch am Leben war, zu unterhalten. So wie ja auch Sie, Herr Marcuse, lebhaftes Interesse am Verbleib Reisigers zeigten.
    Man kann zunächst einmal festhalten, daß das Unglück auf der Barbara in keiner Weise manipuliert worden war. Über die Eigenwilligkeit von Eisbergen braucht nicht mehr gesprochen werden. Ebenso ist es naheliegend, daß niemand die Zeit und Nerven besessen hat, die Leiche Lichfields in eines der Rettungsboote zu schaffen, nur um eine Obduktion zu gewährleisten. Vergessen wir nicht, daß einige Leute ihr Leben ließen, weil sie zu spät von der Insel gingen.
    Die vordringliche Frage für uns war also die nach dem Verbleib Leo Reisigers. Denn mit großer Sicherheit gehörte er zusammen mit zwei weiteren Personen zu jener Gruppe, welche die Plattform als erste verlassen hatte. Auch deutete nichts darauf hin, daß das Rettungsboot untergegangen war. Zumindest nicht sofort. Eine großangelegte Suche führte zu keinem Ergebnis. Nicht ein Hinweis auf die Vermißten.
    Ein Gespräch, das ich mit Reisigers Frau führte, legte nahe, daß das Zusammentreffen ihres Gatten mit Aleister Lichfield auf einem ziemlich grotesken Zufall begründet war. Aber das scheint ja ohnehin Reisigers Spezialität gewesen zu sein, das Hineintappen in groteske Zufälle. Man müßte solche Leute in Gewahrsam nehmen, denn sie ziehen das Unglück an. Vielleicht, indem sie es herbeibeten. Wobei ich gestehe, daß das Herbeibeten eines ein paar Millionen schweren Eisbrockens mich immerhin beeindrucken würde.
    Das alles war trotz der Dramatik ein wenig dürftig, weshalb ich mich zunächst einmal auf die beiden anderen Personen konzentrierte, die mit Reisiger das Rettungsboot bestiegen hatten und seither ebenso als verschollen galten. Einen Mann namens Jakobsen, Chef der medizinischen Abteilung, und eine Köchin, welche von der Ölgesellschaft unter einem finnischen Namen angestellt worden war. Daß Dr. Jakobsen und Leo Reisiger zusammen in das Rettungsboot gestiegen waren, erschien uns nicht weiter auffällig, da der Arzt zuvor die Verantwortung für den invaliden Reisiger übernommen hatte. Wie aber kam die finnische Köchin zu den beiden? Auch das bloß ein Zufall in der Hektik
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