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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle
Autoren: Heinrich Steinfest
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Assoziationslos dazuliegen. Jetzt, mit dieser Ente, war alles anders. Nie zuvor hatte sich Reisiger derart zu einem Gegenstand hingezogen gefühlt. Es war so, als hätte er mit dem ausgebleichten, aber unverwüstlichen Plastiktier etwas Verlorengegangenes wiedergefunden, ein entschwundenes Fragment seiner Seele. Reisiger empfand ein tiefes Einverständnis mit diesem Stück robusten Kunststoffs, das seit elf Jahren auf ihn zugetrieben war, so wie auch umgekehrt. Wodurch die beiden, Reisiger und Ente, eine friedliche, idyllische Version jener Barbara-Schweinskopf-Kollision darstellten.
    Er trank die Flasche leer, und zwar ohne großes Theater. Sodann legte sich Reisiger nieder, wobei er nun eine Seitenlage einnahm, demutsvoll den Himmel wie die Hölle anerkennend, aber in keine von beiden seinen Blick richtend. Dieser galt allein der Plastikente, neben der er seinen Kopf abgelegt hatte. Reisiger sah in die weißen Augen des Tiers. Die Wärme, die ihn nun neuerlich erfüllte, war ein kleines Grab, in das er seine jetzt komplette Seele ablegen konnte. Es hätte nicht besser sein können.

Epilog
    Lieber Hauptkommissar Marcuse,
    Sie haben sich direkt an mich gewandt und mich gebeten, Ihre Anfrage mehr in einem privaten als offiziellen Sinn zu behandeln. Dies ist nicht ganz einfach, da wir beide, obgleich Kollegen, uns persönlich nicht kennen und nur auf Grund der Überschneidung verschiedener Fälle und über den Weg der Amtshilfe einige Informationen ausgetauscht haben. Und gerade dieser Austausch ist es, von dem Sie meinen, er sei unbefriedigend. Sie haben recht, das ist er. Zwischen unseren Ländern Kanada und Deutschland liegt wohl mehr als eine ziemlich beträchtliche, aber leicht überwindbare Wassermasse. Schwieriger ist es da mit den nationalen und höheren Interessen, wobei es oft schwammig bleibt, worin diese zu bestehen haben.
    Als Polizisten, die sich – ich möchte es triebhaft nennen – der Wahrheit verpflichtet fühlen, wohl mehr als der Gerechtigkeit, drängt es uns, einen Fall nicht nur in einer bürokratischen Weise abzuschließen, sondern die Geschichte dieses Falls als etwas Vollständiges zu erfahren. Das ist selbst unter optimalen Bedingungen schwierig und wird erst recht schwierig, wenn die erwähnten nationalen Interessen eine wirkliche Aufklärung verhindern. Der Ehrgeiz, der uns beide verbindet, besitzt dann keine Relevanz mehr, wirkt vielmehr störend. Wir haben in solchen Augenblicken bloß noch eine Funktion zu erfüllen, die das Bild ordentlicher Verhältnisse bestätigt. Nicht, daß ich nicht vom Wert dieser ordentlichen Verhältnisse überzeugt wäre, die in unseren Ländern dominieren und sie mir als wohnliche Orte erscheinen lassen, aber der Einfluß jener, die hinter dem Primat des Nationalen und Höheren unvernünftig dünne Süppchen kochen, ist so bedeutend wie bedauerlich.
    Ich sehe den großen Unterschied zwischen uns, der Polizei, und etwa den Geheimdiensten und all jenen, die an die Notwendigkeit dieser Geheimdienste glauben, darin, daß wir, die Polizisten, an den Staat glauben. Geheimdienste hingegen mißtrauen dem Staat, dem eigenen mehr noch als dem fremden. Sie existieren in einem Gehäuse, das sie für instabil halten. Darum auch die beträchtliche Nervosität, mit der sie agieren, als bewegten sie sich auf dünnem Eis. Dabei ist das Eis gar nicht dünn, sondern eben jene Süppchen, die ihrer eigenen traurigen Küche entstammen.
    Ich gehe sehr weit, indem ich mich Ihnen auf diese Weise öffne. Das entspricht keineswegs meiner Art. Eine eigene Meinung ist nur sehr bedingt von Nutzen. Und mehr als ein Bürokrat verstehe ich mich als Technokrat, der stets bemüht war, den Nutzen einer Sache vor das Vergnügen zu stellen, eine eigene Meinung zu besitzen.
    Wir beide kennen uns allein aus einigen wenigen Telefonaten, und wie mir scheint, verbindet uns ein Bedürfnis nach Präzision. Ebenso glaube ich aber, daß wir keine Hasardeure sind und zwischen privatem Interesse und einer weisungsgebundenen Ruhestellung zu unterscheiden vermögen.
    Darum auch beantworte ich Ihren Anruf, der auf meinem Band aufgezeichnet wurde, in Form eines Briefes, der in der guten, alten postalischen Weise an Ihre Wohnadresse versendet wird. Nicht zuletzt die Frankierung mittels dieser langen Reihe ausgewählter Briefmarken, die Sie auf dem Kuvert vorfinden, soll die Vertraulichkeit meiner Mitteilung betonen. Als Philatelist war mir dies eine kleine Freude.
    Erwähnen muß ich zuvor noch etwas anderes,
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