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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Fahrt seine Stelle kündigte und seiner Familie mitteilte, er habe beschlossen, nach Afrika zu gehen. Er machte dabei einen so inbrünstigen Eindruck, dass er, wie sein Onkel Edward versicherte, einem Kreuzfahrer glich, der sich aufmacht, um Jerusalem zu befreien.
    Seine Familie verabschiedete ihn am Hafen, Gee und Nina unter Tränen. Roger war gerade zwanzig Jahre alt.

III
    Als der Sheriff mit geringschätzigem Blick die Zellentür öffnete, dachte Roger gerade beschämt daran, dass er immer ein Befürworter der Todesstrafe gewesen war. Wenige Jahre zuvor hatte er sich in einem für das Foreign Office verfassten Bericht über Putumayo, bekannt als das Blaue Buch , auch öffentlich dafür ausgesprochen, indem er eine exemplarische Strafe für den Peruaner Julio César Arana forderte, den Kautschukbaron von Putumayo: »Könnten wir erreichen, dass wenigstens er für diese grausamen Verbrechen gehängt wird, wäre dies der Anfang vom Ende des unermesslichen Martyriums und der infernalischen Hetzjagd, denen sich die unglücklichen Eingeborenen ausgesetzt sehen.« Heute würde er das nicht mehr so schreiben. Und vorher hatte er sich auch daran erinnert, welches Unbehagen es ihm bereitete, ein Haus zu betreten, in dem es einen Vogelkäfig gab. Eingesperrte Kanarienvögel, Stieglitze und Papageien hatte er stets als Opfer einer unnötigen Grausamkeit empfunden.
    »Besuch«, grummelte der Sheriff. Während Roger aufstand und sich den Staub von der Sträflingsuniform klopfte, fügte er hämisch hinzu: »Heute ist wieder etwas über Sie in den Zeitungen zu lesen, Mr. Casement. Aber nicht wegen Vaterlandsverrat …«
    »Mein Vaterland ist Irland«, fiel Roger ihm ins Wort.
    »… sondern wegen der Schweinereien.« Der Sheriff schnalzte mit der Zunge, als wollte er ausspucken. »Ein Verräter und dazu noch ein Perverser. Schöner Abschaum! Es wird ein Vergnügen sein, Sie an einem Strick baumeln zu sehen, Ex-Sir Roger.«
    »Hat das Kabinett das Gnadengesuch abgewiesen?«
    »Noch nicht«, sagte der Sheriff schließlich. »Aber das wirdes. Und Seine Majestät, der König, wird es natürlich auch ablehnen.«
    »Ihn werde ich nicht um Gnade bitten. Das ist Ihr König, nicht meiner.«
    »Irland ist britisch«, fuhr ihn der Sheriff an. »Besonders seit wir diesen feigen Aufstand in der Osterwoche in Dublin niedergeschlagen haben. Ein hinterhältiger Dolchstoß gegen ein Land im Krieg. Ich hätte die Anführer nicht erschossen, sondern erhängt.«
    Er verstummte, sie waren am Besucherraum angelangt.
    Es war nicht etwa Pater Carey, der katholische Kaplan vom Pentonville-Gefängnis, sondern Gertrude, seine Cousine Gee. Roger drückte sie an sich und spürte ihr Zittern. Sie kam ihm vor wie ein verängstigter Vogel. Wie sehr war Gee seit seiner Verhaftung und dem Prozess gealtert! Er dachte an das übermütige, unbeschwerte Mädchen aus Liverpool zurück, an die attraktive junge Frau, der das Londoner Leben so gefiel, die wegen ihres kranken Beins von Freunden liebevoll Hoppy , Hinkebeinchen, genannt wurde. Die gekrümmte, kränkliche Person vor ihm hatte nichts mehr von der kräftigen, selbstsicheren Frau, die Gertrude noch vor wenigen Jahren gewesen war. Der Glanz in ihren Augen schien erloschen, Gesicht, Hals und Hände waren ganz faltig. Ihre Kleidung wirkte dunkel und abgetragen.
    »Ich stinke bestimmt wie eine Kloake«, scherzte Roger und deutete auf seine derbe blaue Uniform. »Man hat mir das Recht entzogen, mich zu waschen. Es wird mir nur im Fall meiner Hinrichtung noch einmal zugestanden werden.«
    »Sie werden dich nicht hinrichten, der Ministerrat wird das Gnadengesuch bewilligen«, sagte Gertrude heftig nickend. »Präsident Wilson wird sich bei der britischen Regierung für dich verwenden, Roger. Er hat versprochen, zu telegrafieren. Sie werden dich begnadigen, es wird keine Hinrichtung geben, glaube mir.«
    Ihre Stimme klang so angespannt und brüchig, dass Roger Mitleid mit ihr und seinen übrigen Freunden bekam, die indiesen Tagen der Ungewissheit um ihn bangten. Er hätte sie gern nach den Zeitungsattacken gegen ihn gefragt, die der Kerkermeister erwähnt hatte, doch er hielt sich zurück. Der Präsident der Vereinigten Staaten würde sich für ihn einsetzen? Das war wahrscheinlich John Devoy und den anderen Mitgliedern des Clan na Gael zu verdanken. Würde der amerikanische Präsident intervenieren, wäre es eine wirkungsvolle Geste. Es gab noch eine Chance, dass das Kabinett ihn begnadigen würde.
    In Ermangelung
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