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Road of no Return

Road of no Return

Titel: Road of no Return
Autoren: Gillian Philip
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Damals

    Man muss im Leben selbst auf sich aufpassen. Es ist zwar nicht so, dass Eltern nicht auf einen aufpassen wollen, oder dass sie nicht die besten Absichten hätten. Tatsache ist, dass Eltern anderweitig beschäftigt sind. Sie haben zu tun. Sie sehen weg.
    So wie Dad am Planschbecken weggesehen hat.
    Ich weiß nicht, an was davon ich mich selbst noch erinnere und was Dad mir später erzählt hat. Denn erzählt hat er es mir. Er hat es mich nie vergessen lassen.
    Meine Schwester Alexandra war vom Tag ihrer Geburt an merkwürdig still. Aus übergroßen dunklen Augen betrachtete sie uns, bis sie feststellte, dass sie uns gern genug hatte, um zu bleiben. Die Hebamme behauptete, sie würde die Welt mit der vergleichen, in die sie das letzte Mal hineingeboren worden sei, und müsse nun feststellen, dass sie sich zum Negativen verändert habe.
    Mum gefiel die Vorstellung, denn sie glaubt an Reinkarnation ebenso wie an fast alles andere, und vielleicht war Allie ja in einem früheren Leben wirklich einmal so etwas wie eine Zarin gewesen. Jedenfalls benahm sie sich so.
    Als man mich das erste Mal zu ihr ließ, beugte ich mich
über den Sessel und betrachtete sie, während Mum, Dad und eine ganze Reihe von Freunden und Nachbarn dem Baby zujuchzten und mich völlig ignorierten. Das war eigentlich lustig, denn Allie wiederum ignorierte sie völlig und richtete ihre dunklen, feuchten Augen auf mich. Wenn es angesichts der Tatsache, dass sie ihre Brustwarze im Mund hatte, überhaupt möglich war, ignorierte sie sogar Mum.
    Ich wusste nicht recht, was ich mit meinen Händen tun sollte, außer dem Baby den Kopf abzuschrauben oder ihm die Zehen abzupflücken oder so (schließlich war ich erst dreieinhalb), daher trat ich von einem Fuß auf den anderen und dachte sehnsüchtig an meinen Buzz-Lightyear-Teddy mit Elektrosound. Ich kam mir schon ziemlich verloren vor, doch Großmama Lola erbarmte sich meiner. Auch sie stand ein wenig abseits, und als ich genervt hochblickte, fast bereit, einen Kindsmord zu begehen, sah ich sie spitzbübisch lächeln. Ihre Hand legte sich über meine und drückte sie, und ihr runzliges Mädchengesicht strahlte mich an, mich ganz allein. Dann zwinkerte Nan Lola mir zu, als wolle sie sagen: Du gehörst jetzt mir, Nick.
    Und so war es auch.
    Allie weinte fast nie. Dabei war sie kein glucksendes, fröhliches Baby, ihr Schweigen war ruhig und ernst und tödlich gelassen. Bei einem Baby ist das offenbar keine wünschenswerte Eigenschaft, auch wenn sie mir persönlich sehr gefiel. Aber ich glaube, es belastete Mum ziemlich, dass Allie nur unbeteiligt ins Leere starrte und sich an nichts sonderlich interessiert zeigte.
    Also wurde Allie Dad übergeben, auf dass sie ihre Fläschchen
zusammen einnahmen. So etwas verbindet ungemein, da bin ich ganz sicher, aber es drängte mich nur noch weiter an den Rand des Geschehens.
    Vielleicht habe ich deshalb versucht, sie umzubringen.
     
    Ich weiß noch, dass es ein heißer Tag war. Mum hatte sich in ihrem kleinen Büro unter der Treppe verkrochen und telefonierte mit irgendeinem Zeitungsverleger, und Dad hatte sich natürlich noch ein Bier geholt. Wenn er traurig war, roch er normalerweise nach Whisky, aber das war eher abends der Fall. Mittags war er lediglich leicht verstimmt oder vielleicht müde, und er roch nach Bier. Den Unterschied lernte ich sehr früh.
    An diesem Tag saß ich neben meiner kleinen Schwester im Planschbecken, den Hintern im kühlen Wasser aus dem Gartenschlauch, unsere Köpfe wegen der Hitze unter baumwollenen Safarihüten. Allie beobachtete mich, und im Schatten der Hutkrempe wirkten ihre Augen noch dunkler als sonst, doch sie funkelten in den Sonnenreflexen des Wassers. Und ich hasste sie so, wie es nur Kinder können.
    Es waren mehrere Dinge, die mich störten. Ihr unerschütterlicher Blick. Ihr Schweigen. Die Tatsache, dass sie erst neun Monate alt war und man noch nicht mal mit ihr spielen konnte. Außerdem röteten sich gerade ihre Wangen und ihre dunklen Augen konzentrierten sich, was bedeutete, dass sie gleich in ihre Schwimmwindel machen würde.
    Ich war über alle Maßen beleidigt. Diese schamlose, rücksichtslose Frechheit. Ich dachte daran, mir das Ende des Wasserschlauches zu nehmen, das noch in der Ecke des Beckens
lag, und es ihr direkt in das teilnahmslose Gesicht zu schlagen. Das würde sie mit Sicherheit zum Weinen bringen.
    Aber das wagte ich nicht. Stattdessen zog ich eine Grimasse und schubste sie heftig, so heftig, dass
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