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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Missionen in Europa und den Vereinigten Staaten vorgebracht wurden und nach denen die Einheimischen imKongo des belgischen Königs, Seiner Majestät Leopolds II., schlecht behandelt würden.
    Er hatte die Reise bereits Mitte 1902 mit gewohnter Sorgfalt und einem Enthusiasmus vorbereitet, den er vor den belgischen Beamten und den Siedlern und Händlern in Boma verheimlichte. Jetzt würde er gegenüber seinen Vorgesetzten in Kenntnis der Sachlage argumentieren können, dass das Empire, getreu seiner Tradition von Gerechtigkeit und Fairness, eine internationale Kampagne in die Wege leiten müsste, um dieser Schande ein Ende zu bereiten. Doch ausgerechnet da hatte er seinen dritten Malariaanfall erlitten, der noch heftiger war als die beiden ersten, die ihn hingestreckt hatten, seit er 1884 in einer Mischung aus Idealismus und Abenteuergeist beschlossen hatte, nach Afrika zu gehen, um seinen Beitrag dazu zu leisten, die Menschen dort von Rückständigkeit, Unwissenheit und Krankheiten zu befreien.
    Das waren keine leeren Worte. Er glaubte von ganzem Herzen daran, als er mit zwanzig Jahren auf den Kontinent kam. Und er stand kurz davor, den Traum seines Lebens zu verwirklichen und an einer Expedition teilzunehmen, die von dem berühmtesten Abenteurer seiner Zeit geleitet wurde, von Henry Morton Stanley. Er würde sich diesem Forscher anschließen, der in einer legendären, beinahe drei Jahre währenden Reise zwischen 1874 und 1877 Afrika von Osten nach Westen durchquert hatte und dabei dem Flusslauf des Kongos von den Quellen bis zur Mündung in den Atlantik gefolgt war. Er würde den Helden begleiten, der den verschollenen Livingstone aufgespürt hatte. Doch da bekam er, als hätten die Götter seine Begeisterung bremsen wollen, einen ersten Malariaanfall. Damals wusste er noch nicht, dass es ein schwacher Anfall war, im Vergleich zum zweiten drei Jahre später – 1887 – und vor allem zu dem dritten nun, bei dem er sich zum ersten Mal dem Tode nahe fühlte. Die Symptome waren wieder die gleichen in dieser Morgendämmerung Mitte 1902. Sein Koffer war fertig gepackt mit Landkarten, Kompass, Stiften und Notizbüchern, als er in seinem Schlafzimmer imObergeschoss des Hauses in Boma, das nur wenige Schritte von der Kolonialverwaltung entfernt lag und ihm gleichzeitig als Wohnsitz und Konsulatsbüro diente, bibbernd vor Kälte die Augen aufschlug. Er zog das Moskitonetz zur Seite und sah durch die metallenen Insektengitter der Fenster den heftigen Platzregen, der auf das schlammige Gewässer des breiten Flusses und die pflanzenüberwucherten Inseln entlang des Ufers niederging. Er kam nicht richtig hoch, seine Knie gaben unter ihm nach. Mit einem erschrockenen Bellen sprang seine Bulldoge John im Zimmer herum. Er ließ sich wieder ins Bett fallen. Obwohl sein Körper glühte, saß ihm die Kälte in den Knochen. Er rief nach Charlie und Mawuku, seinem kongolesischen Diener und dem Koch, die im Erdgeschoss schliefen, aber niemand antwortete. Sie waren wohl nach draußen gegangen und hatten, vom Unwetter überrascht, Zuflucht unter irgendeinem Affenbrotbaum gesucht. Schon wieder Malaria, fluchte er in Gedanken. Ausgerechnet am Vortag der Abreise? Er würde Durchfall und Blutungen bekommen und so geschwächt sein, dass er Tage und Wochen benommen und mit Schüttelfrost das Bett würde hüten müssen.
    Charlie kam als Erster zurück, triefend vor Nässe. »Ruf Doktor Salabert«, befahl ihm Roger nicht auf Französisch, sondern auf Lingala. Doktor Salabert war einer der beiden Ärzte von Boma, dem einstigen Sklavenhändlerhafen Mboma, wo im 16. Jahrhundert die portugiesischen Händler der Insel São Tomé Sklaven kauften, die ihnen die Stammesoberhäupter des ehemaligen Königreichs Kongo beschafften. Inzwischen war der Ort von den Belgiern zur Hauptstadt des Unabhängigen Staates Kongo ernannt worden. Boma hatte im Unterschied zu Matadi kein eigenes Krankenhaus, nur eine von flämischen Nonnen betriebene Krankenstation für Notfälle.
    Der Arzt traf eine halbe Stunde später ein. Er war jünger, als er aussah, das Klima und vor allem der Alkohol hatten ihn vorzeitig altern lassen, und er ging mühsam am Stock. Er wirkte wie ein Greis und war gekleidet wie ein Vagabund. Anseinen Schnürstiefeln fehlten die Senkel und seine Weste war nicht zugeknöpft. Obwohl der Tag gerade erst begonnen hatte, waren seine Augen blutunterlaufen.
    »Tja, mein Freund, Malaria, was sonst. Schönes Fieber haben Sie da. Die Behandlung kennen Sie ja:
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